Urteile zu Gesellschafter-Geschäftsführern: Keine Rechtsmacht, keine Sozialversicherungsfreiheit

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Son­der­rech­te, nicht abbe­ruf­bar, freie Hand vom Auf­sichts­rat: Wie viel Macht muss ein geschäfts­füh­ren­der Min­der­heits­ge­sell­schaf­ter haben, um nicht abhän­gig beschäf­tigt zu sein?  Das Bun­des­so­zi­al­ge­richt bleibt in Sachen Sozi­al­ver­si­che­rungs­pflicht bei sei­ner har­ten Linie, zeigt Dr. Petra Oster­mai­er.

Frü­her wur­den geschäfts­füh­ren­de Min­der­heits­ge­sell­schaf­ter als nicht abhän­gig beschäf­tigt und daher sozi­al­ver­si­che­rungs­frei ein­ge­stuft, wenn sie zumin­dest „Kopf und See­le“ des Unter­neh­mens waren. Seit Auf­ga­be die­ser „Kopf-und-See­le-Recht­spre­chung“ durch das Bun­des­so­zi­al­ge­richt (BSG) spä­tes­tens im Jahr 2015 galt als Faust­re­gel, dass nur sol­che GmbH-Geschäfts­füh­rer nicht abhän­gig beschäf­tigt und folg­lich sozi­al­ver­si­che­rungs­frei sein kön­nen, die eine Mehr­heits­be­tei­li­gung von min­des­tens 50 % hat­ten oder auf­grund einer ande­ren Rege­lung in der Sat­zung Wei­sun­gen an sich ver­hin­dern konn­ten.

Die Sozi­al­ver­si­che­rungs­pflicht hat kei­nes­wegs nur Nach­tei­le, manch einen Geschäfts­füh­rer und sei­ne Fami­lie schützt sie im Ernst­fall vor sozia­len Här­ten. Den­noch fehlt es nicht an Ver­su­chen von geschäfts­füh­ren­den Min­der­heits­ge­sell­schaf­tern und Unter­neh­men, im Rah­men eines Sta­tus­an­fra­ge­ver­fah­rens oder auch einer Betriebs­prü­fung die Fest­stel­lung ihrer Sozi­al­ver­si­che­rungs­pflicht zu ver­mei­den. Gera­de im Rah­men einer Betriebs­prü­fung kön­nen geschäfts­füh­ren­de Min­der­heits­ge­sell­schaf­ter und Unter­neh­men ihr blau­es Wun­der erle­ben, das im schlimms­ten Fall das Unter­neh­men die Exis­tenz kos­ten und den Geschäfts­füh­rern den Vor­wurf ein­brin­gen kann, Arbeits­ent­gelt vor­zu­ent­hal­ten und zu ver­un­treu­en.

Sperrminorität für die gesamte Unternehmenstätigkeit erforderlich

Das BSG hat­te am 1. Febru­ar 2022 erneut über gleich drei Fäl­le von Min­der­heits­ge­sell­schaf­ter-Geschäfts­füh­rern zu ent­schei­den. Die kla­gen­den Geschäfts­füh­rer hat­ten gegen eine abhän­gi­ge Beschäf­ti­gung fol­gen­de Argu­men­te ins Feld geführt:

  • „qua­li­fi­zier­te Sperr­mi­no­ri­tä­ten“, d.h. es brauch­te laut Sat­zung eine qua­li­fi­zier­te Mehr­heit für bestimm­te Ange­le­gen­hei­ten (z.B. auch bzgl. Wei­sun­gen und Zustim­mun­gen zu Geschäfts­füh­rungs­maß­nah­men), die der Min­der­heits­ge­sell­schaf­ter ver­hin­dern konn­te
  • Son­der­rech­te des Min­der­heits­ge­sell­schaf­ters, für die Dau­er der Betei­li­gung ein­zel­ver­tre­tungs­be­rech­tig­ter Geschäfts­füh­rer zu sein oder einen sol­chen zu benen­nen
  • Unmög­lich­keit ihrer Abbe­ru­fung, der Been­di­gung oder Ände­rung ihres Geschäfts­füh­rer­ver­tra­ges
  • Zustim­mungs­pflicht eines Auf­sichts­rats zu ein­zel­nen Maß­nah­men eines Geschäfts­füh­rers sowie Ver­zicht des Auf­sichts­rats auf Gesell­schaf­ter­wei­sun­gen

Kei­nes davon über­zeug­te die Rich­ter in Kas­sel. Das BSG hat allen geschäfts­füh­ren­den Min­der­heits­ge­sell­schaf­tern eine Absa­ge erteilt: Nicht abhän­gig beschäf­tigt und damit sozi­al­ver­si­che­rungs­frei sei­en Geschäfts­füh­rer einer GmbH nur dann, wenn sie eine Sperr­mi­no­ri­tät haben, wel­che die gesam­te Unter­neh­mens­tä­tig­keit umfasst.

Weder rei­che eine Sperr­mi­no­ri­tät für bestimm­te Beschlüs­se aus noch die Mög­lich­keit, die eige­ne Abbe­ru­fung oder Wei­sun­gen an sich zu ver­hin­dern. Auch Zustim­mungs­pflich­ten eines Auf­sichts­rats zu ein­zel­nen Maß­nah­men führ­ten nicht zu der erfor­der­li­chen umfas­sen­den Rechts­macht, eben­so wenig des­sen Ver­zicht auf Wei­sun­gen an die Gesell­schaf­ter, wenn die­se nach der Geschäfts­ord­nung jeweils nur einen Geschäfts­be­reich lei­ten. In allen Fäl­len feh­le es, so das BSG, an der recht­li­chen Gestal­tungs­macht, die es bräuch­te, um auf Gesell­schaf­ter­ent­schei­dun­gen und die Unter­neh­mens­po­li­tik Ein­fluss neh­men zu kön­nen; eine blo­ße erwei­ter­te Rechts­macht rei­che nicht aus (BSG, Urt. v. 01.02.2022, Az. B 12 KR 37/19 R, B 12 R 20/19 R, B 12 R 19/19 R).

Wenig Spielraum für Minderheitsgesellschafter

Auch wenn das Ergeb­nis dog­ma­tisch nach­voll­zieh­bar ist, über­zeugt die Argu­men­ta­ti­on des 12. Senats doch nicht: Auch ein Gesell­schaf­ter mit Antei­len von 50 %, der nach dem BSG in der Regel nicht abhän­gig beschäf­tigt wäre, hat kei­ne recht­li­che Gestal­tungs­macht; er kann nur nega­tiv ver­hin­dern, posi­tiv aber nichts durch­set­zen und aktiv gestal­ten. Zumin­dest bei einer Sperr­mi­no­ri­tät für Gesell­schaf­ter­wei­sun­gen ver­hiel­te es sich nicht anders.

Mit sei­nen Urtei­len zemen­tiert das BSG sei­ne bis­he­ri­ge Recht­spre­chung und zer­stört die Hoff­nun­gen vie­ler Gesell­schaf­ter-Geschäfts­füh­rer, doch noch irgend­wie aus der Sozi­al­ver­si­che­rungs­pflicht her­aus­zu­kom­men. Bis auf Wei­te­res steht nun fest: Eine sat­zungs­mä­ßig ein­ge­räum­te Rechts­macht, die kei­ne Sperr­mi­no­ri­tät für alle unter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dun­gen bil­det, und auch eine fak­ti­sche Wei­sungs­frei­heit rei­chen nicht aus, um eine abhän­gi­ge Beschäf­ti­gung zu ver­nei­nen. Es zäh­len allein Sperr­mi­no­ri­tä­ten bzgl. der gesam­ten Unter­neh­mens­tä­tig­keit oder die in der Sat­zung ver­an­ker­te Mög­lich­keit des Min­der­heits­ge­sell­schaf­ters, Wei­sun­gen an ihn zu ver­hin­dern, ggf. auch über wei­te­re Betei­li­gun­gen.

Lie­gen die­se Vor­aus­set­zun­gen nicht vor, besteht der­zeit kaum eine Chan­ce, die Fest­stel­lung einer abhän­gi­gen Beschäf­ti­gung zu ver­mei­den. Ver­si­che­rungs­frei­heit zumin­dest in ein­zel­nen Zwei­gen der Sozi­al­ver­si­che­rung kann dann nur in den gesetz­lich gere­gel­ten Fäl­len erreicht wer­den.

Statusanfrage: sofort nach Aufnahme der Beschäftigung

Gesell­schaf­ter-Geschäfts­füh­rer soll­ten noch im ers­ten Monat nach Auf­nah­me der Beschäf­ti­gung eine Sta­tus­an­fra­ge durch­füh­ren; bei Zustim­mung des Gesell­schaf­ter-Geschäfts­füh­rers und einer sozia­len Absi­che­rung, die der gesetz­li­chen Sozi­al­ver­si­che­rung ent­spricht, wür­de die Bei­trags­pflicht fak­tisch erst mit der (end­gül­ti­gen) Ent­schei­dung über die Sta­tus­an­fra­ge begin­nen.

Das Pro­blem sind und blei­ben aber die Fäl­le, in denen die Gesell­schaf­ten auf die frü­he­re Recht­spre­chung ver­traut hat­ten, von einer Sozi­al­ver­si­che­rungs­frei­heit aus­gin­gen, aber kei­nen Befrei­ungs­be­scheid vor­wei­sen kön­nen und nun – auch Jah­re und ggf. sogar Jahr­zehn­te spä­ter – im Rah­men einer Betriebs­prü­fung als abhän­gig Beschäf­tig­te ein­ge­ord­net wer­den. Denn Ver­trau­ens­schutz wird nur denen gewährt, die sei­ner­zeit eine Sta­tus­an­fra­ge bei der Deut­schen Ren­ten­ver­si­che­rung durch­ge­führt haben und einen Befrei­ungs­be­scheid vor­wei­sen kön­nen. Den ande­ren dro­hen immense Nach­zah­lun­gen.

Erstaun­lich ist, dass die Deut­sche Ren­ten­ver­si­che­rung Min­der­heits­ge­sell­schaf­ter-Geschäfts­füh­rer noch sei­ten­lan­ge For­mu­la­re aus­fül­len lässt. Dabei rei­chen zwei Fra­gen aus, um über ihren Sta­tus als abhän­gig Beschäf­tig­te zu ent­schei­den.

Dr. Petra Oster­mai­er ist Part­ner bei SNP Schla­wi­en Part­ner­schaft mbB und schwer­punkt­mä­ßig im Arbeits­recht tätig. Sie berät und betreut neben mul­ti­na­tio­na­len Kon­zer­nen auch mit­tel­stän­di­sche und klei­ne­re Unter­neh­men in allen Fra­gen des indi­vi­du­el­len und kol­lek­ti­ven Arbeits­rechts. Hier­bei ver­tritt sie Arbeit­ge­ber nicht nur vor Gericht, son­dern beglei­tet die­se auch bei Ver­hand­lun­gen mit Gewerk­schaf­ten, Betriebs­rä­ten und in Eini­gungs­stel­len. Dane­ben unter­stützt Petra Oster­mai­er Vor­stän­de, Geschäfts­füh­rer und lei­ten­de Ange­stell­te bei ihren Ver­trags­ver­hand­lun­gen mit Unter­neh­men. Ihre Tätig­keit umfasst außer­dem die Bera­tung von Unter­neh­men im Daten­schutz sowie im Bereich des öffent­li­chen Rechts, vor­wie­gend im öffent­li­chen Bau­recht und Kom­mu­nal­ab­ga­ben­recht.
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