Weil sein Arbeitgeber das HR-System „Workday“ implementieren wollte, gab das Unternehmen sensible Daten der Mitarbeitenden an die US-Konzernobergesellschaft weiter. Es geschah nichts weiter, doch dem BAG reichte das: Schon der Verlust der Kontrolle über seine Daten gebe dem Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch gegen das Unternehmen.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt hatte am 8. Mai 2025 über einen Schadensersatzanspruch aus der Datenschutzgrundverordnung zu entscheiden. Dabei haben Deutschlands höchste Arbeitsrichter klargestellt, dass Arbeitgeber auch Ersatzansprüche wegen Datenschutzverletzungen mit weniger gravierenden Folgen für die Betroffenen sehr ernst nehmen sollten (Az. 8 AZR 209/21).
Der klagende Arbeitnehmer verlangte immateriellen Schadensersatz, weil sein Arbeitgeber im Jahr 2017 seine Daten über eine SharePoint-Seite an die US-Konzernobergesellschaft übertragen hatte. Es ging um Tests und die Implementierung des HR-Systems „Workday“, die Datenvereinbarung zu diesem Zweck war auch per Betriebsvereinbarung geregelt worden. Allerdings erlaubte die Vereinbarung nur, bestimmte Datenkategorien zu übermitteln. Der Arbeitgeber übermittelte aber mehr und auch sensible personenbezogene Daten des Mitarbeiters wie Gehaltsinformationen, die private Wohnanschrift, das Geburtsdatum, den Familienstand, die Sozialversicherungsnummer und die Steuer-ID. Der Arbeitnehmer wollte deshalb 3.000 Euro immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 Abs. 1 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Die Vorschrift regelt die Haftung und das Recht auf den Ersatz von materiellen und immateriellen Schäden durch einen Verstoß gegen die Verordnung.
Vom Arbeitsgericht in Ulm bis zum Europäischen Gerichtshof
Sowohl das Arbeitsgericht Ulm als auch das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg wiesen seine Klage zunächst ab. Die Gerichte stellten sich auf den Standpunkt, dass nicht jeder Verstoß gegen die DSGVO automatisch einen Entschädigungsanspruch gebe. Vielmehr müsse ein spürbarer Schaden, eine echte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts eingetreten sein. Ein bloßes Gefühl des Kontrollverlusts oder eine abstrakte Missbrauchsgefahr durch die Datenübermittlung ins Ausland reiche nicht. Das LAG verwies zudem darauf, dass der Großteil der Datenübermittlungen stattfand, bevor die DSGVO überhaupt in Kraft trat, also ohnehin kein Anspruch auf die DSGVO gestützt werden könne.
Doch der Mann gab nicht auf, er legte Revision zum BAG ein. Das setzte das Verfahren zunächst aus und rief den Europäischen Gerichtshof (EuGH) an, um zentrale Fragen zur Auslegung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) klären zu lassen. Im Mittelpunkt stand dabei, ob eine Betriebsvereinbarung als nationale Rechtsgrundlage ausreicht, um die Verarbeitung von Mitarbeiterdaten – etwa im Rahmen eines Softwaretests – zu rechtfertigen. Außerdem wollte das Gericht wissen, ob schon ein reiner Kontrollverlust über personenbezogene Daten, also ohne dass ein greifbarer Nachteil eintritt, als immaterieller Schaden nach der DSGVO bewertet werden kann.
Mit Urteil vom 19. Dezember 2024 (Az. C‑65/23) beantwortete der EuGH beide Fragen im Grundsatz positiv. Er stellte klar, dass Betriebsvereinbarungen zwar grundsätzlich eine rechtliche Grundlage für Datenverarbeitungen schaffen können – aber nur dann, wenn sie die Vorgaben und Schutzziele der DSGVO einhalten. Zudem erkannte der EuGH an, dass ein bloßer Kontrollverlust über die eigenen Daten schon einen immateriellen Schaden begründen kann – selbst wenn dieser nicht zu weiteren konkreten Nachteilen geführt hat.
Datenverarbeitung nicht erforderlich: Schaden schon durch Kontrollverlust
Im Anschluss an diese Entscheidung aus Luxemburg gelangte das BAG zu dem Ergebnis, dass die Weitergabe derjenigen personenbezogenen Daten des klagenden Arbeitnehmers, die in der Betriebsvereinbarung nicht geregelt waren, unzulässig war. Nach Auffassung des BAG war die Datenverarbeitung nicht „erforderlich“ im Sinne von Art 6 Abs. 1 Nr. 1f DSGVO: Das Interesse des Arbeitgebers an praxisnahen Softwaretests rechtfertige es nicht, die Rechte der betroffenen Angestellten zu beeinträchtigen.
Entscheidend war aus Sicht des Gerichts, dass der Arbeitnehmer durch die nicht hinreichend kontrollierte Weitergabe seiner Daten die Kontrolle und Verfügungsmacht über seine personenbezogenen Informationen einbüßte. Das genügte dem BAG, um einen immateriellen Schaden festzustellen. Den vom Kläger geltend gemachten Schadensersatz von 3.000 Euro sprach das Gericht zwar nicht zu, erkannte aber einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 200 Euro an. Hierbei stützte sich die Erfurter Richter auf die Rechtsprechung des EuGH: Danach soll der der zugesprochene Schadenersatz maßgeblich den individuell erlittenen Nachteil kompensieren; eine – für den Verantwortlichen oder Dritten — abschreckende Höhe muss er nicht erreichen.
Praxistipp
Damit ist klar, dass Unternehmen das Risiko von – auch kleineren – immateriellen Schadensersatzansprüchen sehr ernst nehmen sollten. Arbeitnehmer und andere Anspruchsteller müssen keine schwere Persönlichkeitsverletzung nachweisen, sondern schon eine spürbare persönliche Beeinträchtigung genügt, wie sie etwa durch den bloßen Verlust der Kontrolle über die eigenen Daten entstehen kann. Andere Rechtsprechung deutscher Gerichte, die eine Bagatellschwelle verlangten, ist damit überholt.
Die Entscheidung des BAG sorgt rechtlich gesehen für den von der DSGVO beabsichtigten „vollständigen und wirksamen“ Rechtsschutz. Sie sollte auch in der betrieblichen Praxis für neue Sensibilität im Beschäftigtendatenschutz sorgen.
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
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