AU ohne Arztgespräch: Online-Attest kostet IT-Consultant den Job

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Arbeitsrecht | 27. November 2025
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Es waren nur vier Tage, doch die Krank­schrei­bung wur­de ihm zum Ver­häng­nis: Ein Arbeit­neh­mer aus West­fa­len leg­te eine AU-Beschei­ni­gung vor, die ohne Kon­takt zu einem Arzt aus­ge­stellt wor­den war. Für das LAG Hamm reicht das aus für eine Kün­di­gung — und zwar gleich für eine frist­lo­se.

 

Es waren nur vier Tage, doch sie kos­te­ten ihn den Job: Im August 2024 mel­de­te der Mann, der vor kur­zem vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt in Hamm zwei­ter Instanz ver­lo­ren hat, sich für vier Tage krank. Als Nach­weis hin­ter­leg­te er eine Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gung (AU) im unter­neh­mens­in­ter­nen Sys­tem. Rein äußer­lich ent­sprach die­se dem gewohn­ten und bekann­ten gel­ben Vor­druck (Mus­ter 1b der Kas­sen­ärzt­li­chen Bun­des­ver­ei­ni­gung), im Volks­mund gern gel­ber Schein genannt.

Aller­dings hat­te der Mann die AU von einem Online-Anbie­ter erhal­ten. Dort konn­te der West­fa­le wäh­len, ob er vor Aus­stel­lung der AU tat­säch­lich von einem Arzt unter­sucht wer­den woll­te. Zur Aus­wahl stand eine teu­re­re AU, aus­ge­stellt von einem inlän­di­schen Arzt auf Grund­la­ge eines Arzt­ge­sprächs, oder aber eine güns­ti­ge­re Beschei­ni­gung, aus­ge­stellt von einem aus­län­di­schen Medi­zi­ner ohne Arzt­ge­spräch. Es gab dort sogar eine War­nung vor einem „gerin­ge­ren Beweis­wert“ und den Tipp, doch lie­ber die teu­re­re AU mit dem Arzt­ge­spräch zu neh­men. Doch der Arbeit­neh­mer wähl­te die güns­ti­ge­re Vari­an­te – und wur­de des­halb frist­los gekün­digt. Und zwar, wie ein Gericht nun fest­stell­te, völ­lig zu Recht.

 

„Das könn­te miss­traui­sche Arbeit­ge­ber irri­tie­ren“

Auf der Web­sei­te der Home­page des Anbie­ters der AU stand: „Krank­schrei­bung mit Arzt­ge­spräch gül­tig mit Geld-zurück-Garan­tie, falls dei­ne AU nicht sofort akzep­tiert wird. Wir zah­len Dir sogar 100% Dei­nes Lohns, falls er ver­wei­gert wird. Beim AU-Schein OHNE Arzt­ge­spräch soll­test Du Dei­nen Arbeit­ge­ber sofort um Akzep­tanz der AU bit­ten, insb. wenn er miss­trau­isch ist. Schreib´ ihm z.B.: „Hier ist mei­ne AU als PDF. Ist die OK so?“. Falls er sie nicht zeit­nah akzep­tiert, stor­nie­re kos­ten­los und hol´ Dir lie­ber die AU MIT Gespräch bis zu 3 Tage rück­wir­kend von unse­ren online Ärz­ten mit deut­scher Zulas­sung oder von einem Pra­xis­arzt.“

Dar­über hin­aus wies der Anbie­ter auch dar­auf hin, dass der AU ein „gerin­ge­rer Beweis­wert“ zukom­me:

“Denn unse­re AU OHNE Arzt­ge­spräch hat im Streit­fall vor Gericht gerin­ge­ren Beweis­wert als unse­re AU MIT Arzt­ge­spräch. Falls Dein Chef dann Indi­zi­en gegen Dich hat (z.B. Par­ty­fo­to auf Insta­gram), bräuch­test Du wei­te­re Bewei­se (z.B. Freund als Zeu­ge). Die zuge­las­se­nen Ärz­te für die gül­ti­ge AU OHNE Arzt­ge­spräch sind zudem inter­na­tio­nal und nur online tätig, so dass sie weder Pra­xis­sitz noch Zulas­sung in Dei­nem Land benö­ti­gen. Das könn­te miss­traui­sche Arbeit­ge­ber bei Nach­for­schun­gen irri­tie­ren, da die­se Ärz­te nur im Aus­land und somit nicht bei einer deut­schen Ärz­te­kam­mer regis­triert sind. Auf der AU steht daher unter dem Arzt­na­men statt der Adres­se in Paki­stan nur: „Pri­vat­arzt per Tele­me­di­zin“ sowie des­sen deut­sche Whats­App-Nr. und deut­sche Email Adres­se.”

 

„Pri­vat­arzt per Tele­me­di­zin“

Sei­ne Arbeits­un­fä­hig­keit wur­de auf­grund eines Fra­ge­bo­gens fest­ge­stellt, den er online aus­füll­te: Zur Aus­wahl stan­den ledig­lich Sym­pto­me, der Mann wähl­te „Unwohl­sein, tro­cke­ner Hus­ten, Glie­der­weh und Rücken­weh“ aus und gab an, „Schmerz­mit­tel, Hus­ten­lö­ser, homöo­pa­thi­sche Prä­pa­ra­te gegen Ver­span­nung und ande­re Arz­nei­en“ ein­zu­neh­men.

Einen Kon­takt zu einem Arzt gab es nicht. Das Attest stell­te ein Medi­zi­ner aus, der kei­ne Zulas­sung in Deutsch­land hat. Auf der Beschei­ni­gung stand, dass die AU von einem „Pri­vat­arzt per Tele­me­di­zin“ aus­ge­stellt wor­den sei, der Arbeit­neh­mer sei „arbeits­un­fä­hig auf­grund Fern­un­ter­su­chung“.

Die­se For­mu­lie­run­gen lie­ßen die HR-Abtei­lung zwei­feln, das Unter­neh­men kün­dig­te dem Arbeit­neh­mer frist­los. Der reich­te beim Arbeits­ge­richt Dort­mund Kün­di­gungs­schutz­kla­ge ein, mit der er zunächst auch Erfolg hat­te, weil er vor der Kün­di­gung nicht abge­mahnt wor­den war.

 

Arbeits­un­fä­hig­keits­fest­stel­lung nur mit Unter­su­chung

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm aber ent­schied nun in zwei­ter Instanz anders (LAG Hamm, Urt. v. 05.09. 2025, Az. 14 SLa 145/25). Die Arbeits­rich­ter in zwei­ter Instanz argu­men­tier­ten, dass der Mann so schwer gegen sei­ne arbeits­recht­li­chen Pflich­ten ver­sto­ßen habe, dass das Unter­neh­men ihn nicht vor­her abmah­nen muss­te.

Die AU ent­sprach nicht den Vor­ga­ben der §§ 4 und 5 der AU-Richt­li­nie des Gemein­sa­men Bun­des­aus­schus­ses der KBV über die Beur­tei­lung der Arbeits­un­fä­hig­keit. Hier­bei han­delt es sich zwar schon von Geset­zes wegen nicht um zwin­gen­des Recht. Doch die Vor­ga­ben set­zen den Stan­dard für eine vali­de Fest­stel­lung der Arbeits­un­fä­hig­keit, und nach § 4 Abs. 5 S. 1 und 2 der Richt­li­nie darf die­se eben nur auf­grund einer ärzt­li­chen Unter­su­chung erfol­gen. Aus die­sem Grund gel­ten auch für eine tele­fo­ni­sche Krank­schrei­bung, die wegen Coro­na ein­ge­führt wur­de die fol­gen­den Vor­aus­set­zun­gen: (i) Die Erkrank­ten müs­sen der Arzt­pra­xis bekannt sein, (ii) die Pra­xis bie­tet kei­ne Video-Sprech­stun­de an und (iii) die Erkrank­ten haben nur leich­te Sym­pto­me. Sind die­se Bedin­gun­gen erfüllt, kann der Arzt oder die Ärz­tin nach tele­fo­ni­scher Rück­spra­che eine Erst­be­schei­ni­gung über die Arbeits­un­fä­hig­keit aus­stel­len.

Das LAG wirft dem Arbeit­neh­mer sogar vor, er habe „bewusst wahr­heits­wid­rig“ sug­ge­riert, dass er bei einem Arzt gewe­sen sei. Durch die Bezeich­nung „Fern­un­ter­su­chung“ ent­ste­he der Ein­druck, es habe eine Unter­su­chung bei einem Arzt statt­ge­fun­den. Dass die vor­ge­leg­te Beschei­ni­gung der offi­zi­el­len AU sehr ähn­lich ist, run­de­te die­ses Gesamt­bild für die Rich­ter ab.

Dem Arbeit­neh­mer war laut dem Gericht auch klar, dass sei­ne vor­ge­leg­te AU einen wahr­heits­wid­ri­gen Ein­druck erweckt. Dies muss­te ihm, so das Gericht, bekannt sein, da er die Beschei­ni­gung nur gegen Zah­lung einer Gebühr erwer­ben konn­te. Fer­ner war der Mann auch dar­auf hin­ge­wie­sen wor­den, dass gera­de kei­ne ärzt­li­che Unter­su­chung statt­fin­den wür­de.

Für sei­nen Arbeit­ge­ber wie auch für das LAG Hamm hät­te er sei­ne Erkran­kung wei­ter kon­kre­ti­sie­ren müs­sen, ist die­sen Beweis aber schul­dig geblie­ben. Denn der Beweis­wert eines Attests, das ohne Arzt­ge­spräch aus­ge­stellt wor­den ist, ist in einem Kün­di­gungs­schutz­ver­fah­ren erschüt­tert — und eine ver­hal­tens­be­ding­te Kün­di­gung damit ohne vor­he­ri­ge Abmah­nung gerecht­fer­tigt.

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