Es waren nur vier Tage, doch die Krankschreibung wurde ihm zum Verhängnis: Ein Arbeitnehmer aus Westfalen legte eine AU-Bescheinigung vor, die ohne Kontakt zu einem Arzt ausgestellt worden war. Für das LAG Hamm reicht das aus für eine Kündigung — und zwar gleich für eine fristlose.
Es waren nur vier Tage, doch sie kosteten ihn den Job: Im August 2024 meldete der Mann, der vor kurzem vor dem Landesarbeitsgericht in Hamm zweiter Instanz verloren hat, sich für vier Tage krank. Als Nachweis hinterlegte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) im unternehmensinternen System. Rein äußerlich entsprach diese dem gewohnten und bekannten gelben Vordruck (Muster 1b der Kassenärztlichen Bundesvereinigung), im Volksmund gern gelber Schein genannt.
Allerdings hatte der Mann die AU von einem Online-Anbieter erhalten. Dort konnte der Westfale wählen, ob er vor Ausstellung der AU tatsächlich von einem Arzt untersucht werden wollte. Zur Auswahl stand eine teurere AU, ausgestellt von einem inländischen Arzt auf Grundlage eines Arztgesprächs, oder aber eine günstigere Bescheinigung, ausgestellt von einem ausländischen Mediziner ohne Arztgespräch. Es gab dort sogar eine Warnung vor einem „geringeren Beweiswert“ und den Tipp, doch lieber die teurere AU mit dem Arztgespräch zu nehmen. Doch der Arbeitnehmer wählte die günstigere Variante – und wurde deshalb fristlos gekündigt. Und zwar, wie ein Gericht nun feststellte, völlig zu Recht.
„Das könnte misstrauische Arbeitgeber irritieren“
Auf der Webseite der Homepage des Anbieters der AU stand: „Krankschreibung mit Arztgespräch gültig mit Geld-zurück-Garantie, falls deine AU nicht sofort akzeptiert wird. Wir zahlen Dir sogar 100% Deines Lohns, falls er verweigert wird. Beim AU-Schein OHNE Arztgespräch solltest Du Deinen Arbeitgeber sofort um Akzeptanz der AU bitten, insb. wenn er misstrauisch ist. Schreib´ ihm z.B.: „Hier ist meine AU als PDF. Ist die OK so?“. Falls er sie nicht zeitnah akzeptiert, storniere kostenlos und hol´ Dir lieber die AU MIT Gespräch bis zu 3 Tage rückwirkend von unseren online Ärzten mit deutscher Zulassung oder von einem Praxisarzt.“
Darüber hinaus wies der Anbieter auch darauf hin, dass der AU ein „geringerer Beweiswert“ zukomme:
“Denn unsere AU OHNE Arztgespräch hat im Streitfall vor Gericht geringeren Beweiswert als unsere AU MIT Arztgespräch. Falls Dein Chef dann Indizien gegen Dich hat (z.B. Partyfoto auf Instagram), bräuchtest Du weitere Beweise (z.B. Freund als Zeuge). Die zugelassenen Ärzte für die gültige AU OHNE Arztgespräch sind zudem international und nur online tätig, so dass sie weder Praxissitz noch Zulassung in Deinem Land benötigen. Das könnte misstrauische Arbeitgeber bei Nachforschungen irritieren, da diese Ärzte nur im Ausland und somit nicht bei einer deutschen Ärztekammer registriert sind. Auf der AU steht daher unter dem Arztnamen statt der Adresse in Pakistan nur: „Privatarzt per Telemedizin“ sowie dessen deutsche WhatsApp-Nr. und deutsche Email Adresse.”
„Privatarzt per Telemedizin“
Seine Arbeitsunfähigkeit wurde aufgrund eines Fragebogens festgestellt, den er online ausfüllte: Zur Auswahl standen lediglich Symptome, der Mann wählte „Unwohlsein, trockener Husten, Gliederweh und Rückenweh“ aus und gab an, „Schmerzmittel, Hustenlöser, homöopathische Präparate gegen Verspannung und andere Arzneien“ einzunehmen.
Einen Kontakt zu einem Arzt gab es nicht. Das Attest stellte ein Mediziner aus, der keine Zulassung in Deutschland hat. Auf der Bescheinigung stand, dass die AU von einem „Privatarzt per Telemedizin“ ausgestellt worden sei, der Arbeitnehmer sei „arbeitsunfähig aufgrund Fernuntersuchung“.
Diese Formulierungen ließen die HR-Abteilung zweifeln, das Unternehmen kündigte dem Arbeitnehmer fristlos. Der reichte beim Arbeitsgericht Dortmund Kündigungsschutzklage ein, mit der er zunächst auch Erfolg hatte, weil er vor der Kündigung nicht abgemahnt worden war.
Arbeitsunfähigkeitsfeststellung nur mit Untersuchung
Das Landesarbeitsgericht Hamm aber entschied nun in zweiter Instanz anders (LAG Hamm, Urt. v. 05.09. 2025, Az. 14 SLa 145/25). Die Arbeitsrichter in zweiter Instanz argumentierten, dass der Mann so schwer gegen seine arbeitsrechtlichen Pflichten verstoßen habe, dass das Unternehmen ihn nicht vorher abmahnen musste.
Die AU entsprach nicht den Vorgaben der §§ 4 und 5 der AU-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses der KBV über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit. Hierbei handelt es sich zwar schon von Gesetzes wegen nicht um zwingendes Recht. Doch die Vorgaben setzen den Standard für eine valide Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, und nach § 4 Abs. 5 S. 1 und 2 der Richtlinie darf diese eben nur aufgrund einer ärztlichen Untersuchung erfolgen. Aus diesem Grund gelten auch für eine telefonische Krankschreibung, die wegen Corona eingeführt wurde die folgenden Voraussetzungen: (i) Die Erkrankten müssen der Arztpraxis bekannt sein, (ii) die Praxis bietet keine Video-Sprechstunde an und (iii) die Erkrankten haben nur leichte Symptome. Sind diese Bedingungen erfüllt, kann der Arzt oder die Ärztin nach telefonischer Rücksprache eine Erstbescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit ausstellen.
Das LAG wirft dem Arbeitnehmer sogar vor, er habe „bewusst wahrheitswidrig“ suggeriert, dass er bei einem Arzt gewesen sei. Durch die Bezeichnung „Fernuntersuchung“ entstehe der Eindruck, es habe eine Untersuchung bei einem Arzt stattgefunden. Dass die vorgelegte Bescheinigung der offiziellen AU sehr ähnlich ist, rundete dieses Gesamtbild für die Richter ab.
Dem Arbeitnehmer war laut dem Gericht auch klar, dass seine vorgelegte AU einen wahrheitswidrigen Eindruck erweckt. Dies musste ihm, so das Gericht, bekannt sein, da er die Bescheinigung nur gegen Zahlung einer Gebühr erwerben konnte. Ferner war der Mann auch darauf hingewiesen worden, dass gerade keine ärztliche Untersuchung stattfinden würde.
Für seinen Arbeitgeber wie auch für das LAG Hamm hätte er seine Erkrankung weiter konkretisieren müssen, ist diesen Beweis aber schuldig geblieben. Denn der Beweiswert eines Attests, das ohne Arztgespräch ausgestellt worden ist, ist in einem Kündigungsschutzverfahren erschüttert — und eine verhaltensbedingte Kündigung damit ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt.
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht
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