Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat in der Rechtsprechung einen hohen Stellenwert als Beweismittel. Als das wichtigste gesetzlich vorgeschriebene Dokument reicht sie in der Regel aus, um im Arbeitsgerichtsverfahren die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers nachzuweisen. Doch gleich mehrere neue höchstrichterliche Urteile stellen klar: Es gibt sehr wohl Fälle, in denen Arbeitgeber diesen Beweiswert erschüttern können.
Mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung können Arbeitnehmer regelmäßig nachweisen, dass es ihnen wegen Krankheit nicht möglich ist, ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtung nachzukommen.
In der Rechtsprechung kommt der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein hoher Beweiswert zu. Sie ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel dafür, dass ein Arbeitnehmer krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist. Legt ein Arbeitnehmer im Verfahren eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, hat der Richter also nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts regelmäßig davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer dadurch bewiesen hat, dass er arbeitsunfähig erkrankt war.
Hegt der Arbeitgeber Zweifel an der Richtigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, muss er deshalb konkrete Einzelumstände dafür darlegen, weshalb er die Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung infrage stellt. Diese einfach zu bestreiten, reicht nicht aus, um ihre Richtigkeit zu widerlegen.
In den vergangenen Jahren hat sich aber eine Reihe von Gerichtsentscheidungen angesammelt, die in bestimmten Fällen von einer Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgeht. Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, muss der Arbeitnehmer darlegen und beweisen, dass er im attestierten Zeitraum tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war. Das spielt nicht nur eine Rolle, wenn es darum geht, ob ein Arbeitnehmer für den Zeitraum, für den er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt hat, eine Entgeltfortzahlung erhält. Das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit rechtfertigt auch regelmäßig eine ordentliche oder sogar außerordentliche Kündigung. Wer als Arbeitgeber berechtigte Zweifel daran hat, dass ein Mitarbeiter wirklich arbeitsunfähig krank ist, sollte das nicht leichtfertig hinnehmen.
„Krank“ nach der Kündigung: Die zeitliche Koinzidenz
Mit der eigenen Kündigung gleichzeitig eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum Ende der Kündigungsfrist einreichen, ist spätestens seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2021 (BAG, Urt. v. 08.09.2021, 5 AZR 149/21) keine gute Idee mehr.
Hier hatte es das Bundesarbeitsgericht mit einer Arbeitnehmerin zu tun, die gleichzeitig mit der Einreichung ihrer Eigenkündigung eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei ihrem Arbeitgeber einreichte, welche genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung abdeckte. Der Arbeitgeber hatte daraufhin keine Entgeltfortzahlung mehr geleistet, da er der Ansicht war, dass durch die passgenaue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung deren Beweiswert erschüttert sei.
Die Arbeitnehmerin klagte dagegen und scheiterte vor dem Bundesarbeitsgericht. Deutschlands höchste Arbeitsrichter stellten klar, dass die zeitliche Koinzidenz zwischen Kündigung und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit begründet, welchen die Arbeitnehmerin in diesem Fall auch nicht widerlegen konnte.
Der enge zeitliche Zusammenhang
In einem weiteren Urteil aus dem Jahr 2023 (v. 13.12.2023, 5 AZR 137/23) konkretisierte das BAG seine Rechtsprechung und baute diese weiter aus:
Diese Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht mittlerweile in zwei weiteren aktuellen Urteilen (BAG, Urteil v. 21.08.2024, 5 AZR 248/23 und BAG, Urteil v. 18.9.2024, 5 AZR 29/24) bestätigt:
„Krank“ nach dem Urlaub: Auf die Gesamtschau kommt es an
Erschüttert werden kann der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aber nicht nur im zeitlichen Zusammenhang mit einer Kündigung der einen oder anderen Partei.
Im Januar 2025 hatte das BAG über einen Fall zu entscheiden, in dem sich ein Arbeitnehmer im Sommerurlaub befand, als er sich krank meldete — siehe unseren Blog-Beitrag vom 6.2.2025. Der Mann war in Tunesien gewesen und hatte kurz vor Ende seines Urlaubs seinen Arbeitgeber per E‑Mail darüber informiert, dass er vor Ort eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt bekommen habe und seine Rückreise sich somit verzögere. Zurück in Deutschland legte er eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Der Arbeitgeber verweigerte die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, weil er Zweifel an der Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hatte.
Zu Recht, entschied das Bundesarbeitsgericht im Januar (Urt. v. 15.01.2025- 5 AZR 284/24): Zwar haben ausländische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen grundsätzlich den gleichen Beweiswert wie deutsche. Das soll laut dem Bundesarbeitsgericht jedenfalls dann gelten, wenn der Arzt zwischen einer bloßen Erkrankung und einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit unterschieden hat.
Allerdings kann, so die Erfurter Richter, der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in der Gesamtschau aller Umstände dennoch erschüttert sein. So war es hier. Der Arbeitnehmer war laut Attest für 24 Tage krankgeschrieben und nicht reisefähig gewesen, er sollte sich laut der ärztlichen Anweisungen nicht bewegen. Dennoch hatte er einen Tag nach Ausstellung des Attests ein Fährticket für seine Rückreise nach Deutschland gebucht und die lange Rückreise dann auch noch während seiner attestierten Arbeitsunfähigkeit angetreten.
» Praxistipp: Alle Auffälligkeiten einbeziehen
Hinzu kam, dass der Arbeitnehmer in der Vergangenheit bereits häufiger direkt im Anschluss an Urlaube Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eingereicht hatte. Damit war laut Bundesarbeitsgericht der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert: Es kam zu einer Beweislastumkehr im Verfahren, d.h. nun musste der Arbeitnehmer darlegen und beweisen, dass er im besagten Zeitraum aufgrund seiner Krankheit arbeitsunfähig war.
Unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer eine deutsche oder ausländische Arbeitsunfähigkeit vorlegt, sollten Arbeitgeber diese also genau prüfen und dabei alle Umstände des Falls im Zusammenspiel berücksichtigen. Gelingt es, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, muss der Arbeitnehmer darlegen und beweisen, dass er im attestierten Zeitraum tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war.
» Praxistipp: Lieber keine Detektei einschalten
Auch bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit eines Angestellten ist es allerdings eher nicht zu empfehlen, Detektive einzusetzen. Vergangenen Sommer hatte das Bundesarbeitsgericht über einen Fall zu entscheiden, in dem ein Arbeitgeber einen Mitarbeiter durch eine Detektei wegen einer mutmaßlich vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit überwachen ließ (BAG, Urteil v. 25.07.2024, 8 AZR 225/23).
Das Bundesarbeitsgericht sprach dem Angestellten einen Schadensersatzanspruch aufgrund rechtswidriger und heimlicher Überwachung zu. Der Schadensersatzanspruch ergab sich aus Art. 82 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), da die Detektei den sichtbaren Gesundheitszustand des Mitarbeiters dokumentiert hatte — eine Verarbeitung von Gesundheitsdaten im Sinne der DSGVO. Da die Erfurter Richter den Beweiswert der streitigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht für erschüttert ansahen, war die Verarbeitung der Gesundheitsdaten nicht gerechtfertigt gewesen.
Der Einsatz von Detektiven zur Feststellung einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters ist nur unter strengen Voraussetzungen zulässig, Arbeitgeber sollten nicht vorschnell zu diesem Mittel greifen. Vorrangig sollten sie, wenn sie den Verdacht haben, über eine Krankheit getäuscht zu werden, eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen einholen und alle anderen Klärungsmöglichkeiten ausschöpfen, bevor sie eine Detektei beauftragen.
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
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