BAG zum Gebot fairen Verhandelns: Aufhebungsvertrag auch ohne Bedenkzeit wirksam

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Dass ein Arbeit­ge­ber mit Kün­di­gung und Straf­an­zei­ge droht, falls die Arbeit­neh­me­rin den ihr vor­ge­leg­ten Auf­he­bungs­ver­trag nicht sofort unter­schreibt, macht den Ver­trag nicht zwin­gend unwirk­sam. Unter­neh­men soll­ten das Urteil des Bun­des­ar­beits­ge­richts aber mit Vor­sicht genie­ßen, rät Chris­tia­ne Butt­s­chardt.

Seit­dem das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) im Jahr 2019 das Gebot fai­ren Ver­han­delns schuf, ist eine recht bun­te Instanz­recht­spre­chung rund um Auf­he­bungs­ver­trä­ge und ihr Zustan­de­kom­men ent­stan­den. Es herrsch­te all­ge­mei­ne Ver­un­si­che­rung dar­über, ob das Insti­tut, an dem die Erfur­ter Rich­ter seit­dem die Wirk­sam­keit von Auf­he­bungs­ver­trä­gen mes­sen, auf außer­ge­wöhn­li­che Situa­tio­nen wie die im Jahr 2019 ent­schie­de­ne beschränkt oder schon in übli­chen Kon­stel­la­tio­nen im geschäft­li­chen All­tag anwend­bar sein soll­te.

Nun hat das BAG in der ver­gan­ge­nen Woche eine eher übli­che Kon­stel­la­ti­on an den von ihm selbst auf­ge­stell­ten Maß­stä­ben gemes­sen. Und geur­teilt, dass die kla­gen­de Arbeit­neh­me­rin nicht in ihrer Ent­schei­dungs­frei­heit ver­letzt wor­den sei, bloß weil ihre Arbeit­ge­be­rin ihr einen Auf­he­bungs­ver­trag nur zur sofor­ti­gen Annah­me unter­brei­tet hat­te. Auch dass die Frau des­halb kei­ne Bedenk­zeit hat­te und kei­nen Rechts­rat ein­ho­len konn­te, sei noch kei­ne Pflicht­ver­let­zung der Arbeit­ge­be­rin, die den Auf­he­bungs­ver­trag unwirk­sam machen wür­de (BAG, Urt. v. 24.02.2022, Az. 6 AZR 333/21).

Mit der bis­lang allein vor­lie­gen­den Pres­se­mit­tei­lung zu dem Ver­fah­ren hat das BAG vie­le Arbeits­recht­ler über­rascht. Die Erfur­ter Rich­ter stel­len zwei Din­ge gleich­zei­tig klar: Sie beab­sich­ti­gen trotz ver­brei­te­ter Kri­tik nicht, das Gebot fai­ren Ver­han­delns als Insti­tut wie­der auf­zu­ge­ben. Doch sie schei­nen die­ses weit weni­ger streng hand­ha­ben zu wol­len, als vor allem vie­le Arbeit­ge­ber anfäng­lich fürch­te­ten.

BAG 2019: Psychische Drucksituation, die freie Entscheidung unmöglich macht

Die Mehr­heit der Arbeits­ver­hält­nis­se dürf­te mitt­ler­wei­le durch einen Auf­he­bungs­ver­trag enden. Auf­he­bungs­ver­trä­ge sind ein belieb­tes Instru­ment, um Kün­di­gun­gen und damit auch mög­li­che Rechts­strei­tig­kei­ten um deren Wirk­sam­keit zu ver­hin­dern. Sie bie­ten den Vor­teil, dass das Arbeits­ver­hält­nis schnell been­det wer­den kann und alle offe­nen Punk­te wie z.B. Bonus­zah­lun­gen indi­vi­du­ell gere­gelt wer­den kön­nen. Der Unter­neh­mer kann die frei­ge­wor­de­ne Stel­le so schnell neu beset­zen.

Für Arbeit­neh­mer haben sie aller­dings den Nach­teil, dass sie sich gegen das Ende des Arbeits­ver­hält­nis­ses und damit ver­bun­de­ne Kon­se­quen­zen nicht mehr weh­ren kön­nen, weil sie sich ja ein­ver­stan­den erklärt haben; des­halb erhal­ten sie auch drei Mona­te kein Arbeits­lo­sen­geld, wenn sie einen Auf­he­bungs­ver­trag unter­zeich­net haben.

Das Miss­brauchs­ri­si­ko liegt auf der Hand: Wer sich gera­de nicht frei­wil­lig dazu ent­schließt, son­dern prak­tisch dazu genö­tigt wird, einen Auf­he­bungs­ver­trag zu unter­schrei­ben, der soll nicht die Kon­se­quen­zen einer sol­chen nur pseu­do-frei­en Ent­schei­dung tra­gen müs­sen.

Einen Wider­ruf gibt es nicht, eine Anfech­tung ist häu­fig schwie­rig. Daher ent­wi­ckel­te das BAG im Jahr 2019, in einem Fall, in dem ein Arbeit­ge­ber eine wohl kran­ke Arbeit­neh­me­rin über­ra­schend zuhau­se über­rum­pelt hat­te, das sog. Gebot des fai­ren Ver­han­delns: Dem­nach kann ein Auf­he­bungs­ver­trag unwirk­sam sein, vor allem, wenn eine psy­chi­sche Druck­si­tua­ti­on geschaf­fen oder aus­ge­nutzt wer­de, die eine freie und über­leg­te Ent­schei­dung des Ver­trags­part­ners erheb­lich erschwert oder sogar unmög­lich macht (BAG, Ent­schei­dung v. 7. 02. 2019, Az. 6 AZR 75/18). Jetzt stell­ten die Erfur­ter Rich­ter klar, was für eine Druck­si­tua­ti­on in die­sem Sin­ne jeden­falls noch nicht aus­reicht.

Keine Ankündigung, kein Anwalt, keine Bedenkzeit

Der Vor­wurf, den die nun beklag­te Arbeit­ge­be­rin erhob, wog schwer: Die Arbeit­neh­me­rin habe unbe­rech­tigt Ein­kaufs­prei­se in der EDV abge­än­dert, um so einen höhe­ren Ver­kaufs­ge­winn vor­zu­spie­geln. Mit die­sem Vor­wurf kon­fron­tier­te sie der Geschäfts­füh­rer, der die Arbeit­neh­me­rin in sein Büro bestellt hat­te, ohne ihr vor­her Bescheid zu geben, wor­um es gehen soll­te. Er hat­te zudem einen Anwalt hin­zu­ge­zo­gen, wäh­rend die Arbeit­neh­me­rin kei­nen anwalt­li­chen Bei­stand hat­te.

Nach zehn Minu­ten, in denen alle schwie­gen, unter­zeich­ne­te die Arbeit­neh­me­rin die ihr vor­ge­leg­te Ver­ein­ba­rung, focht den Auf­he­bungs­ver­trag aber eine Woche spä­ter wegen wider­recht­li­cher Dro­hung an und mach­te gel­tend, das Arbeits­ver­hält­nis sei nicht wirk­sam been­det wor­den und bestehe fort.

Sie behaup­te­te — was strei­tig blieb -, ihr sei in Aus­sicht gestellt wor­den, dass ihr außer­or­dent­lich gekün­digt und Straf­an­zei­ge gegen sie erstat­tet wer­den wür­de, wenn sie den Auf­he­bungs­ver­trag nicht unter­zeich­ne. Ihrer Bit­te, eine län­ge­re Bedenk­zeit zu erhal­ten und Rechts­rat ein­ho­len zu kön­nen, sei nicht ent­spro­chen wor­den.

BAG 2022: Keine rechtswidrige Drohung, Entscheidungsfreiheit nicht verletzt

Das BAG sah dar­in kei­nen Ver­stoß gegen das Gebot fai­ren Ver­han­delns. Zu berück­sich­ti­gen sei­en die Gesamt­um­stän­de der kon­kre­ten Ver­hand­lungs­si­tua­ti­on im jewei­li­gen Ein­zel­fall.

Selbst wenn alles genau so pas­siert wäre, wie die Arbeit­neh­me­rin behaup­tet hat­te, wäre die­se angeb­li­che Dro­hung nicht wider­recht­lich gewe­sen, so die Erfur­ter Rich­ter. Denn das ange­droh­te Übel, die Kün­di­gung also oder eine Straf­an­zei­ge, durf­te ein ver­stän­di­ger Arbeit­ge­ber ange­sichts der im Raum ste­hen­den Vor­wür­fe durch­aus ernst­haft in Betracht zie­hen, befand der 6. Senat.

Auch dass die Arbeit­neh­me­rin den Ver­trag nur sofort hät­te unter­schrei­ben dür­fen und sich des­halb auch unver­züg­lich ent­schei­den muss­te, ob sie ihn anneh­men will („Pis­to­le auf die Brust“), hat sie aus Sicht der Erfur­ter Rich­ter nicht in ihrer Ent­schei­dungs­frei­heit ver­letzt. Unfai­re Ver­hand­lun­gen und damit ein Ver­stoß gegen die arbeits­recht­li­chen Für­sor­ge­pflich­ten hät­ten nicht vor­ge­le­gen. Der Auf­he­bungs­ver­trag sei wirk­sam geschlos­sen, das Arbeits­ver­hält­nis ord­nungs­ge­mäß been­det wor­den, so das BAG.

Zumin­dest in ihrer Pres­se­mit­tei­lung gehen die Erfur­ter Rich­ter auf die Anwe­sen­heit eines Anwalts (nur) auf Sei­ten des Arbeit­ge­bers gar nicht ein. Auch die feh­len­de Ankün­di­gung, wor­um es in dem Gespräch über­haupt gehen sol­le, dis­ku­tiert das BAG im Kon­text des Gebots fai­ren Ver­han­delns offen­bar nicht ein­mal.

Die Befürch­tung vie­ler Unter­neh­men, Auf­he­bungs­ver­trä­ge kaum mehr rechts­si­cher abschlie­ßen zu kön­nen, wur­de mit dem Urteil nicht bestä­tigt. Den­noch bleibt stets eine Ein­zel­fall­be­trach­tung not­wen­dig, die vor allem auch die Schwe­re des Vor­wurfs ein­be­zieht, der dem Arbeit­neh­mer gemacht wird. Das Gebot fai­ren Ver­han­delns soll­te stets gewahrt wer­den, um eine spä­te­re Anfech­tung des Auf­he­bungs­ver­tra­ges zu ver­mei­den.

Chris­tia­ne Butt­s­chardt berät Unter­neh­men aller Grö­ßen, vor­wie­gend mit­tel­stän­di­sche Unter­neh­men, sowie deren Gesell­schaf­ter und Geschäfts­füh­rer in allen Fra­gen des Gesell­schafts­rechts. Sie ist ins­be­son­de­re auch bei Unter­neh­mens­trans­ak­tio­nen bera­tend tätig. https://de.linkedin.com/in/christiane-buttschardt-899398211

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