Transaktionen sind oft hektisch, Wichtiges passiert häufig in letzter Minute. Inwieweit Verkäufer den Käufer informieren müssen, dem sie schon einen Datenraum zur Verfügung gestellt haben, hat vor kurzem der BGH entschieden. Das Urteil betraf zwar eine Immobilientransaktion, ist aber für alle Arten von Unternehmenstransaktionen relevant.
Gerade weil Transaktionen nur selten ruhig und entspannt ablaufen, kommt es oft vor, dass Dokumente erst kurz vor der Beurkundung in den virtuellen Datenraum hochgeladen werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich in diesem Zusammenhang mit der Frage zu befassen, inwieweit ein Verkäufer im Rahmen einer Transaktion Käufer über relevante Fakten des Kaufobjekts informieren und sogar auf Besonderheiten hinweisen muss. In dem Fall, über den der BGH zu entscheiden hatte, verkaufte die Beklagte mehrere Gewerbeeinheiten in einem großen Gebäudekomplex. Der Kaufpreis betrug rund 1,5 Millionen Euro.
Im Kaufvertrag sicherte die Verkäuferin zu, dass keine Beschlüsse gefasst worden seien, aus denen sich eine künftig fällige Sonderumlage ergebe. Eine Sonderumlage ist eine zusätzliche Zahlung der Wohnungseigentümer zur Deckung außerordentlicher Ausgaben. Sie dient der Finanzierung unvorhergesehener Kosten oder besonderer Vorhaben, die über die regelmäßigen Ausgaben hinausgehen. Darüber hinaus hat die Verkäuferin versichert, dass nach ihrer Kenntnis im laufenden Wirtschaftsjahr keine außerordentlichen Kosten angefallen und ihr solche auch nicht bekannt seien. Die Verkäuferin stellte der Käuferin einen virtuellen Datenraum zur Verfügung, der verschiedene Unterlagen zum Kaufobjekt enthielt. Anhand dieser Unterlagen führte die Käuferin eine Due Diligence durch.
Am Freitag vor dem für Montag angesetzten Beurkundungstermin des Kaufvertrags im März 2019 lud die Verkäuferin weitere Unterlagen hoch, darunter auch ein Protokoll der Eigentümerversammlung. Aus diesem ergab sich, dass rund um das Objekt teure Rechtsstreitigkeiten liefen. Nach einem Vergleich im Jahr 2020 stand fest, dass für die Sanierung des Gemeinschaftseigentums eine Umlage von bis zu 50 Millionen und damit um ein Vielfaches des Kaufpreises vorgesehen war. Die Käuferin sah sich von der Verkäuferin arglistig getäuscht. Ein knappes Jahr nach dem Vertragsschluss erklärte sie Anfang März 2020 die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung sowie vorsorglich den Rücktritt vom Vertrag und zog vor Gericht.
BGH: „Verkäufer muss über wesentliche Tatsachen informieren“
Sowohl vor dem Landgericht Hildesheim als auch vor dem Oberlandesgericht Celle blieb ihre Klage aber zunächst erfolglos. Beide Gerichte vertraten die Auffassung, dass die Verkäuferin ihren Aufklärungspflichten nachgekommen sei, als sie den Datenraum zur Verfügung gestellt und der Käuferin den Zugang dazu ermöglicht hatte.
Der BGH aber hob die Urteile im Wesentlichen zugunsten der klagenden Käuferin auf und verwies das Verfahren zur erneuten Verhandlung zurück. Er sah in der Tatsache, dass Sanierungsmaßnahmen mit einem Kostenvolumen von 50 Millionen Euro ausstanden, einen offenbarungspflichtigen Umstand, über den die Verkäuferin hätte aufklären müssen.
Zwar müssen Verkäufer nicht über alle Einzelheiten und Umstände des Kaufobjekts aufklären, die die Willensentschließung des Käufers beeinflussen können. Vielmehr ist grundsätzlich jeder Verhandlungspartner für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich und muss sich daher die für seine Willensentschließung erforderlichen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen. Aber dennoch besteht laut dem V. Zivilsenat die Pflicht, die andere Seite über Tatsachen zu informieren, die für die Kaufentscheidung von wesentlicher Bedeutung sein können (BGH, Urt. v. 15.09. 2023, Az. V ZR 77/22).
Datenraum ersetzt Aufklärung nicht
Der BGH stellte in diesem Zusammenhang klar, dass eine vom Käufer durchgeführte Due Diligence den Verkäufer nicht per se von der Offenlegung aufklärungspflichtiger Tatsachen befreit. Allein aus dem Umstand, dass der Verkäufer einen Datenraum einrichtet und dem Kaufinteressenten den Zugang zu den Daten ermöglicht, könne angesichts der Vielgestaltigkeit der Vorgänge und Abläufe in der Praxis nicht geschlossen werden, dass der Käufer von allen offenbarungspflichtigen Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies sei immer noch eine Frage des Einzelfalles.
Für die Einordnung der Aufklärungspflicht kommt es laut dem unter anderem für Grundstückskaufverträge zuständigen V. Zivilsenat im Detail darauf an:
Angesichts dieser Kriterien könnte man schnell zu dem Schluss kommen, dass das Urteil die Aufklärungspflichten des Verkäufers verschärft. Letztlich leitet der BGH die Aufklärungspflicht aber aus dem gesetzlichen Verbot des arglistigen Verhaltens ab. Die Bundesrichter begründen diese Einordnung damit, dass der Verkäufer als Eigentümer in der Regel einen Wissens- und Informationsvorsprung hat.
Insgesamt ist es daher wahrscheinlicher, dass er Kenntnis von aufklärungspflichtigen Tatsachen hat als der Käufer. Der vertraglichen Risikoverlagerung allein auf den Käufer sind mit dieser Entscheidung aus Karlsruhe zwar Grenzen gesetzt. Diese dürften aber auch auf die Besonderheiten des zeitlichen Moments einerseits und der wirtschaftlichen Bedeutung sowie auffälligen Diskrepanz (1,5 Millionen Euro Kaufpreis vs. 50 Millionen Euro als Ausfallhaftung der Miteigentümer) andererseits in dem doch recht besonderen Fall zurückzuführen sein.
Seit August 2022 kann jeder kostenfrei und ohne Registrierung das elektronisch geführte Handelsregister einsehen. Der Bundesgerichtshof hat in einem Beschluss vom 23. Mai 2023 bestätigt, dass es sich bei den Inhalten der Webseite um offenkundige Tatsache im Sinne der Zivilprozessordnung handelt: Was dort steht, muss man nicht mehr unter Beweis stellen. Das Amtsgericht Kempten (Allgäu) hatte es im Jahr 2021...