Datenraum-Dilemma: BGH klärt Aufklärungspflichten bei Transaktionen

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Gesellschaftsrecht | 28. März 2024
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Trans­ak­tio­nen sind oft hek­tisch, Wich­ti­ges pas­siert häu­fig in letz­ter Minu­te. Inwie­weit Ver­käu­fer den Käu­fer infor­mie­ren müs­sen, dem sie schon einen Daten­raum zur Ver­fü­gung gestellt haben, hat vor kur­zem der BGH ent­schie­den. Das Urteil betraf zwar eine Immo­bi­li­en­trans­ak­ti­on, ist aber für alle Arten von Unter­neh­mens­trans­ak­tio­nen rele­vant.

Gera­de weil Trans­ak­tio­nen nur sel­ten ruhig und ent­spannt ablau­fen, kommt es oft vor, dass Doku­men­te erst kurz vor der Beur­kun­dung in den vir­tu­el­len Daten­raum hoch­ge­la­den wer­den. Der Bun­des­ge­richts­hof (BGH) hat­te sich in die­sem Zusam­men­hang mit der Fra­ge zu befas­sen, inwie­weit ein Ver­käu­fer im Rah­men einer Trans­ak­ti­on Käu­fer über rele­van­te Fak­ten des Kauf­ob­jekts infor­mie­ren und sogar auf Beson­der­hei­ten hin­wei­sen muss. In dem Fall, über den der BGH zu ent­schei­den hat­te, ver­kauf­te die Beklag­te meh­re­re Gewer­be­ein­hei­ten in einem gro­ßen Gebäu­de­kom­plex. Der Kauf­preis betrug rund 1,5 Mil­lio­nen Euro.

Im Kauf­ver­trag sicher­te die Ver­käu­fe­rin zu, dass kei­ne Beschlüs­se gefasst wor­den sei­en, aus denen sich eine künf­tig fäl­li­ge Son­der­um­la­ge erge­be. Eine Son­der­um­la­ge ist eine zusätz­li­che Zah­lung der Woh­nungs­ei­gen­tü­mer zur Deckung außer­or­dent­li­cher Aus­ga­ben. Sie dient der Finan­zie­rung unvor­her­ge­se­he­ner Kos­ten oder beson­de­rer Vor­ha­ben, die über die regel­mä­ßi­gen Aus­ga­ben hin­aus­ge­hen. Dar­über hin­aus hat die Ver­käu­fe­rin ver­si­chert, dass nach ihrer Kennt­nis im lau­fen­den Wirt­schafts­jahr kei­ne außer­or­dent­li­chen Kos­ten ange­fal­len und ihr sol­che auch nicht bekannt sei­en. Die Ver­käu­fe­rin stell­te der Käu­fe­rin einen vir­tu­el­len Daten­raum zur Ver­fü­gung, der ver­schie­de­ne Unter­la­gen zum Kauf­ob­jekt ent­hielt. Anhand die­ser Unter­la­gen führ­te die Käu­fe­rin eine Due Dili­gence durch.

Am Frei­tag vor dem für Mon­tag ange­setz­ten Beur­kun­dungs­ter­min des Kauf­ver­trags im März 2019 lud die Ver­käu­fe­rin wei­te­re Unter­la­gen hoch, dar­un­ter auch ein Pro­to­koll der Eigen­tü­mer­ver­samm­lung. Aus die­sem ergab sich, dass rund um das Objekt teu­re Rechts­strei­tig­kei­ten lie­fen. Nach einem Ver­gleich im Jahr 2020 stand fest, dass für die Sanie­rung des Gemein­schafts­ei­gen­tums eine Umla­ge von bis zu 50 Mil­lio­nen und damit um ein Viel­fa­ches des Kauf­prei­ses vor­ge­se­hen war. Die Käu­fe­rin sah sich von der Ver­käu­fe­rin arg­lis­tig getäuscht. Ein knap­pes Jahr nach dem Ver­trags­schluss erklär­te sie Anfang März 2020 die Anfech­tung des Kauf­ver­trags wegen arg­lis­ti­ger Täu­schung sowie vor­sorg­lich den Rück­tritt vom Ver­trag und zog vor Gericht.

 

BGH: „Ver­käu­fer muss über wesent­li­che Tat­sa­chen infor­mie­ren“

Sowohl vor dem Land­ge­richt Hil­des­heim als auch vor dem Ober­lan­des­ge­richt Cel­le blieb ihre Kla­ge aber zunächst erfolg­los. Bei­de Gerich­te ver­tra­ten die Auf­fas­sung, dass die Ver­käu­fe­rin ihren Auf­klä­rungs­pflich­ten nach­ge­kom­men sei, als sie den Daten­raum zur Ver­fü­gung gestellt und der Käu­fe­rin den Zugang dazu ermög­licht hat­te.

Der BGH aber hob die Urtei­le im Wesent­li­chen zuguns­ten der kla­gen­den Käu­fe­rin auf und ver­wies das Ver­fah­ren zur erneu­ten Ver­hand­lung zurück. Er sah in der Tat­sa­che, dass Sanie­rungs­maß­nah­men mit einem Kos­ten­vo­lu­men von 50 Mil­lio­nen Euro aus­stan­den, einen offen­ba­rungs­pflich­ti­gen Umstand, über den die Ver­käu­fe­rin hät­te auf­klä­ren müs­sen.

Zwar müs­sen Ver­käu­fer nicht über alle Ein­zel­hei­ten und Umstän­de des Kauf­ob­jekts auf­klä­ren, die die Wil­lens­ent­schlie­ßung des Käu­fers beein­flus­sen kön­nen. Viel­mehr ist grund­sätz­lich jeder Ver­hand­lungs­part­ner für sein rechts­ge­schäft­li­ches Han­deln selbst ver­ant­wort­lich und muss sich daher die für sei­ne Wil­lens­ent­schlie­ßung erfor­der­li­chen Infor­ma­tio­nen auf eige­ne Kos­ten und eige­nes Risi­ko selbst beschaf­fen. Aber den­noch besteht laut dem V. Zivil­se­nat die Pflicht, die ande­re Sei­te über Tat­sa­chen zu infor­mie­ren, die für die Kauf­ent­schei­dung von wesent­li­cher Bedeu­tung sein kön­nen (BGH, Urt. v. 15.09. 2023, Az. V ZR 77/22).

 

Daten­raum ersetzt Auf­klä­rung nicht

Der BGH stell­te in die­sem Zusam­men­hang klar, dass eine vom Käu­fer durch­ge­führ­te Due Dili­gence den Ver­käu­fer nicht per se von der Offen­le­gung auf­klä­rungs­pflich­ti­ger Tat­sa­chen befreit. Allein aus dem Umstand, dass der Ver­käu­fer einen Daten­raum ein­rich­tet und dem Kauf­in­ter­es­sen­ten den Zugang zu den Daten ermög­licht, kön­ne ange­sichts der Viel­ge­stal­tig­keit der Vor­gän­ge und Abläu­fe in der Pra­xis nicht geschlos­sen wer­den, dass der Käu­fer von allen offen­ba­rungs­pflich­ti­gen Tat­sa­chen Kennt­nis erlangt. Dies sei immer noch eine Fra­ge des Ein­zel­fal­les.

Für die Ein­ord­nung der Auf­klä­rungs­pflicht kommt es laut dem unter ande­rem für Grund­stücks­kauf­ver­trä­ge zustän­di­gen V. Zivil­se­nat im Detail dar­auf an:

  • ob und in wel­chem Umfang der Käu­fer eine Due Dili­gence durch­ge­führt hat;
  • wie der Daten­raum im Ein­zel­nen und der Zugang dazu struk­tu­riert und orga­ni­siert sind (Inhalts­ver­zeich­nis, Such­funk­ti­on, Update Anzei­gen etc.);
  • ob mit der Tat­sa­che, die der Offen­le­gung bedarf, beson­de­re Umstän­de ein­her­ge­hen.

Ange­sichts die­ser Kri­te­ri­en könn­te man schnell zu dem Schluss kom­men, dass das Urteil die Auf­klä­rungs­pflich­ten des Ver­käu­fers ver­schärft. Letzt­lich lei­tet der BGH die Auf­klä­rungs­pflicht aber aus dem gesetz­li­chen Ver­bot des arg­lis­ti­gen Ver­hal­tens ab. Die Bun­des­rich­ter begrün­den die­se Ein­ord­nung damit, dass der Ver­käu­fer als Eigen­tü­mer in der Regel einen Wis­sens- und Infor­ma­ti­ons­vor­sprung hat.

Ins­ge­samt ist es daher wahr­schein­li­cher, dass er Kennt­nis von auf­klä­rungs­pflich­ti­gen Tat­sa­chen hat als der Käu­fer. Der ver­trag­li­chen Risi­ko­ver­la­ge­rung allein auf den Käu­fer sind mit die­ser Ent­schei­dung aus Karls­ru­he zwar Gren­zen gesetzt. Die­se dürf­ten aber auch auf die Beson­der­hei­ten des zeit­li­chen Moments einer­seits und der wirt­schaft­li­chen Bedeu­tung sowie auf­fäl­li­gen Dis­kre­panz (1,5 Mil­lio­nen Euro Kauf­preis vs. 50 Mil­lio­nen Euro als Aus­fall­haf­tung der Mit­ei­gen­tü­mer) ande­rer­seits in dem doch recht beson­de­ren Fall zurück­zu­füh­ren sein.

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