Auch bei langer Krankheit: Urlaub verfällt nicht – wenn’s der Arbeitsvertrag so will

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Arbeitsrecht | 23. Oktober 2025
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Eine Klau­sel im Arbeits­ver­trag, die aus­drück­lich regelt, dass der gesetz­li­che Min­dest­ur­laub auch bei lan­ger Krank­heit nicht ver­fällt, ist wirk­sam, urteil­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt. Sie gehe gesetz­li­chen wie tarif­li­chen Rege­lun­gen zu Ver­fall­fris­ten vor. Was Arbeit­ge­ber dazu wis­sen müs­sen.

 

In dem  Fall, über den in letz­ter Instanz das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ent­schie­den hat, konn­te eine Arbeit­neh­me­rin ihren jähr­li­chen Min­dest­ur­laub über meh­re­re Jah­re nicht neh­men, weil sie krank war. Ihr Arbeits­ver­trag ent­hielt eine Klau­sel, der zufol­ge der gesetz­li­che Min­dest­ur­laub auch bei län­ger andau­ern­der Krank­heit über den sonst übli­chen Über­tra­gungs­zeit­raum von 15 Mona­ten hin­aus fort­be­steht.

Die beklag­te Arbeit­ge­be­rin berief sich aber auf die all­ge­mein aner­kann­te 15-Monats-Ver­fall­frist sowie die im Fall der kla­gen­den Pfle­ge­kraft zudem ein­schlä­gi­gen Arbeits­ver­trags­richt­li­ni­en der Dia­ko­nie (AVR-DD), nach denen der Urlaubs­an­spruch eben­falls spä­tes­tens 15 Mona­te nach Ablauf des jewei­li­gen Urlaubs­jah­res erlischt. So strit­ten die Par­tei­en durch die Instan­zen bis zum Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) über die Abgel­tung von ins­ge­samt 144 Urlaubs­ta­gen in den Jah­ren zwi­schen 2016 und 2021, es ging um immer­hin rund 16.000 Euro.

 

BAG: Aus­drück­li­che ver­trag­li­che Rege­lung geht vor

Deutsch­lands höchs­te Arbeits­rich­ter ent­schie­den, dass in die­sem Fall die arbeits­ver­trag­li­che Rege­lung Vor­rang hat, da sie den Ver­fall des gesetz­li­chen Min­dest­ur­laubs bei Lang­zeit­er­kran­kung aus­drück­lich aus­schließt (BAG, Urteil vom 15.07.2025 – 9 AZR 198/2). Die Par­tei­en des Ver­trags hät­ten also, so das BAG, arbeits­ver­trag­lich eine abwei­chen­de Rege­lung zum (Nicht-) Ver­fall des gesetz­li­chen Min­dest­ur­laubs bei einer lang­an­dau­ern­den Erkran­kung der Arbeit­neh­me­rin getrof­fen. Nach die­ser zwei­fels­frei­en, inhalt­lich eigen­stän­di­gen indi­vi­du­al­recht­li­chen Rege­lung bestehe kein Raum dafür, auf die Arbeits­richt­li­nie der AVR-DD zum Ver­fall von Urlaub zurück­zu­grei­fen, auch wenn die­se in den Ver­trag ein­be­zo­gen wor­den sei. Mit der indi­vi­du­al­recht­li­chen Ver­ein­ba­rung zum Nicht­ver­fall des Urlaubs bei lang­an­dau­ern­der Krank­heit habe der Arbeit­ge­ber zu ver­ste­hen geben wol­len, dass er von den kirch­li­chen Arbeits­ver­trags­richt­li­ni­en abwei­chen wol­le. Dar­an müs­se er sich dann auch hal­ten, so das BAG.

Die Erfur­ter Rich­ter stell­ten zudem klar, dass die ver­trag­li­che Rege­lung auch nicht gegen EU-Recht ver­stößt. Der Euro­päi­sche Gerichts­hof hat die Regel auf­ge­stellt, dass Ansprü­che auf bezahl­ten Jah­res­ur­laub grund­sätz­lich nicht erlö­schen kön­nen. Hier­von dür­fen die Mit­glied­staa­ten aus­nahms­wei­se abwei­chen, wenn das durch beson­de­re Umstän­de gerecht­fer­tigt ist. Sol­che beson­de­ren Umstän­de lie­gen auch in einer Kumu­la­ti­on von Urlaubs­an­sprü­chen aus meh­re­ren Jah­ren auf­grund einer Lang­zeit­er­kran­kung.

Des­halb kann man § 7 Abs. 3 des deut­schen Bun­des­ur­laubs­ge­set­zes (BUrlG) so inter­pre­tie­ren, dass der Anspruch auf den gesetz­li­chen Min­dest­ur­laub, den der Arbeit­neh­mer wegen Krank­heit nicht bis zum Ende des Urlaubs­jah­res neh­men konn­te, bei fort­dau­ern­der Arbeits­un­fä­hig­keit zwar unter beson­de­ren Umstän­den mit Ablauf des 31. März des zwei­ten Fol­ge­jah­res unter­geht. Es bleibt aber mög­lich, für den Arbeit­neh­mer güns­ti­ge­re indi­vi­du­al- oder kol­lek­tiv­recht­li­che Rege­lun­gen zu tref­fen, wie im Fall der kla­gen­den Pfle­ge­kraft gesche­hen. Ihr spra­chen die Erfur­ter Rich­ter daher die Abgel­tung all ihre noch offe­nen Min­dest­ur­laubs­ta­ge zu.

 

Pra­xis­hin­weis: Urlaubs­ver­falls­re­ge­lun­gen nur nach genau­er Prü­fung

Das BAG hat in sei­nem Urteil betont, dass der 15-mona­ti­ge Über­tra­gungs­zeit­raum, wel­cher aus der Recht­spre­chung des Euro­päi­schen Gerichts­ho­fes resul­tiert,  zwar grund­sätz­lich eine uni­ons­rechts­kon­for­me Gren­ze für den Ver­fall von Urlaubs­an­sprü­chen setzt, die­se ver­trag­lich aber zuguns­ten des Arbeit­neh­mers ver­län­gert oder ganz aus­ge­schlos­sen wer­den kann. Ent­schei­dend ist der objek­ti­ve Sinn einer trans­pa­ren­ten und ein­deu­ti­gen arbeits­ver­trag­li­chen Klau­sel.

Das Urteil ver­deut­licht, dass Arbeit­ge­ber bei der Gestal­tung von Arbeits­ver­trä­gen genau prü­fen soll­ten, ob und wie Urlaubs­ver­fall­re­ge­lun­gen for­mu­liert wer­den. Ent­hal­ten Ver­trä­ge eine aus­drück­li­che Ver­ein­ba­rung, die den Ver­fall bei Lang­zeit­er­kran­kung aus­schließt, bleibt der Urlaubs­an­spruch des Arbeit­neh­mers bestehen; und damit, wenn er das Unter­neh­men ver­lässt, auch sein Abgel­tungs­an­spruch – unab­hän­gig von Arbeits­ver­trags­richt­li­ni­en oder all­ge­mei­nen Geset­zes­aus­le­gun­gen.

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