Kontrolle von E‑Mailverkehr am Arbeitsplatz nur eingeschränkt erlaubt

Arbeitsrecht | 28. September 2017
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Die gro­ße Kam­mer am EGMR (Euro­päi­scher Gerichts­hof für Men­schen­rech­te) hat mit Urteil vom 5. Sep­tem­ber 2017 (Beschwer­de-Nr. 61496/08) klar­ge­stellt, dass selbst dann, wenn dem Arbeit­neh­mer eine pri­va­te Nut­zung der Fir­men-IT gene­rell ver­bo­ten ist, der Arbeit­ge­ber den E‑Mail-Account sei­ner Mit­ar­bei­ter nicht ohne wei­te­res kon­trol­lie­ren darf. Viel­mehr muss ein legi­ti­mer Grund für die Kon­trol­le gege­ben sein. Außer­dem hat der Arbeit­ge­ber vor­ab über Art und Aus­maß der Über­prü­fun­gen zu infor­mie­ren. Und schließ­lich darf nur das mil­des­te geeig­ne­te Mit­tel zum Ein­satz kom­men, das den Arbeit­neh­mer in sei­nem all­ge­mei­nen Per­sön­lich­keits­recht am wenigs­ten belas­tet.

Damit hat die Gro­ße Kam­mer sowohl den rumä­ni­schen Arbeits­ge­rich­ten als auch der klei­nen Kam­mer im eige­nen Haus einen Rüf­fel erteilt. Wir erin­nern uns: Herrn Bar­bu­les­cu war im Jahr 2007 von sei­nem Arbeit­ge­ber frist­los gekün­digt wor­den, weil er ver­bo­te­ner­wei­se über sei­nen dienst­li­chen E‑Mail-Account auch Nach­rich­ten mit sei­ner Ver­lob­ten und sei­nem Bru­der aus­ge­tauscht hat­te. Nach­dem er zunächst eine pri­va­te Nut­zung geleug­net hat­te, wur­de er mit einem Tran­skript kon­fron­tiert, das besag­te E‑Mails en detail ent­hielt. Sei­ne Kla­ge gegen die dar­auf­hin erfolg­te Kün­di­gung blieb vor den rumä­ni­schen Gerich­ten eben­so erfolg­los wie zunächst sei­ne Beschwer­de zum EGMR, wel­che er auf eine Ver­let­zung von Art. 8 EMRK stütz­te: „Jede Per­son hat das Recht auf Ach­tung ihres Pri­vat- und Fami­li­en­le­bens, ihrer Woh­nung und ihrer Kor­re­spon­denz.“ (Art. 8 Abs. 1 EMRK). Ein Ein­griff in die­ses Recht darf nach Absatz 2 von Art. 8 EMRK nur unter engen Vor­aus­set­zun­gen erfol­gen. Die Kam­mer war der Ansicht, dass hier das Kon­troll­in­ter­es­se des Arbeit­ge­bers das Geheim­hal­tungs­in­ter­es­se des Herrn Bar­bu­les­cu über­wie­ge. Der Arbeit­ge­ber habe wegen des Ver­bots davon aus­ge­hen dür­fen, nur auf geschäft­li­che Inhal­te zuzu­grei­fen (sie­he hier­zu auch unse­ren Bei­trag vom 23. Febru­ar 2016).

Die­ser Argu­men­ta­ti­on folg­te nun die Gro­ße Kam­mer, an die der Fall über­wie­sen wur­de (Art. 43 EMRK), jedoch nicht! Schon einer der vori­gen Rich­ter, Pin­to de Albu­quer­que, hat­te in sei­nem abwei­chen­dem Votum dar­auf hin­ge­wie­sen, dass ein gene­rel­les Ver­bot, die Fir­men-IT zu pri­va­ten Zwe­cken zu nut­zen, im heu­ti­gen Arbeits­le­ben prak­tisch nicht durch­setz­bar und auch nicht zuläs­sig sei, da gera­de durch die Nut­zung von IT die Tren­nung von Arbeits- und Pri­vat­le­ben ver­wischt wer­de. Der Arbeit­neh­mer dür­fe trotz eines Ver­bots der pri­va­ten Nut­zung erwar­ten, dass sei­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on nicht über­wacht wer­de. Will der Arbeit­ge­ber dies den­noch tun, so müss­ten hier­zu kon­kre­te Vor­ga­ben gemacht und den Arbeit­neh­mern mit­ge­teilt wer­den.

Fazit: Auch ein flä­chen­de­cken­des Ver­bot für den Arbeit­neh­mer, die Fir­men-IT nicht zu pri­va­ten Zwe­cken zu nut­zen, gibt dem Arbeit­ge­ber kei­nen Frei­brief, auf Inhal­te des dienst­li­chen E‑Mail-Accounts zuzu­grei­fen. Selbst dann muss der Arbeit­neh­mer nach Ansicht des EGMR bei beab­sich­tig­ten Kon­trol­len „vor­ge­warnt“ wer­den. Und immer ist der Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­grund­satz zu beach­ten, d.h. der Arbeit­ge­ber muss prü­fen, ob nicht ein „mil­de­res Mit­tel“, das die Pri­vat­sphä­re des Arbeit­neh­mers weni­ger belas­tet, eben­so geeig­net ist, sein legi­ti­mes Kon­troll­in­ter­es­se durch­zu­set­zen. Ein Ver­stoß gegen die­se Grund­sät­ze kann – nach deut­schem Recht — einen rechts­wid­ri­gen Ein­griff in das all­ge­mei­ne Per­sön­lich­keits­recht des Arbeit­neh­mers dar­stel­len. Der Arbeit­ge­ber ris­kiert dann nicht nur, dass sei­ne Bewei­se vor Gericht nicht ver­wert­bar sind, son­dern auch Ent­schä­di­gungs­an­sprü­che des Arbeit­neh­mers. Bei einer mas­si­ven Ver­let­zung des all­ge­mei­nen Per­sön­lich­keits­rechts kommt auch ein Schmer­zens­geld in Betracht.

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