LAG Köln kippt Betriebsratsbeschlüsse: Minderheitenschutz ist nicht nur Förmelei

© Bliss/stock.adobe.com
BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Das Lan­desar­beits­gericht Köln hat kür­zlich Beschlüsse eines Betrieb­srats für unwirk­sam erk­lärt, obwohl sie, jed­er für sich betra­chtet, for­mal kor­rekt waren. Ins­ge­samt betra­chtet umgin­gen sie aber den geset­zlichen Min­der­heit­en­schutz. Arbeit­ge­ber soll­ten sich­er­stellen, dass Betrieb­sratswahlen und ‑beschlüsse nicht nur for­mal kor­rekt ablaufen.

Die Entschei­dung des Lan­desar­beits­gerichts (LAG) Köln erin­nert daran, dass Arbeit­ge­ber sich stets die Wichtigkeit des geset­zlichen Min­der­heit­en­schutzes in Betrieb­srats­beschlüssen bewusst machen soll­ten. Dieses Prinzip sorgt dafür, dass alle Mitar­beit­er­grup­pen fair vertreten wer­den. Auf seine Ein­hal­tung zu acht­en, beugt sowohl rechtlichen Kon­flik­ten als auch der Unwirk­samkeit von Beschlüssen vor.

Am 28. Juni 2024 (Az. 9 TaBV 52/23) hat das LAG einen Beschluss gefasst, der für Arbeit­ge­ber und Betrieb­sräte gle­icher­maßen rel­e­vant ist.  Der Fall betraf einen neu gewählten Betrieb­srat, der sich ger­ade erst kon­sti­tu­iert hat­te. Dann kam es zu einem ungewöhn­lichen Vor­gang: Kurz nacheinan­der berief er in mehreren Abberu­fungs­beschlüssen alle Mit­glieder ein­er Min­der­heit­sliste aus dem Betrieb­sauss­chuss und aus der Freis­tel­lung ab – so lange, bis die Liste erschöpft, also keine weit­eren Mit­glieder, die nachkom­men hät­ten kön­nen, zur Ver­fü­gung standen, war. Danach erset­zte er sie mit ein­fachen Mehrheits­beschlüssen durch Vertreter der Mehrheit­sliste.

Wie schon zuvor das Arbeits­gericht in Bonn urteilte auch das LAG, dass damit der beab­sichtigte Min­der­heit­en­schutz nicht mehr aus­re­ichend gewährleis­tet sei, auch wenn die einzel­nen Abberu­fungs­beschlüsse mit der erforder­lichen qual­i­fizierten Mehrheit getrof­fen wor­den waren. Es erk­lärte alle Abberu­fungs­beschlüsse für unwirk­sam.

Die Beschlüsse seien jed­er für sich zwar formell kor­rekt gewe­sen, so die Richter in Köln, hät­ten aber in ihrer Gesamtheit betra­chtet den geset­zlichen Min­der­heit­en­schutz unter­laufen. Die Richter beton­ten, dass die Geset­zesvorschriften nicht nur for­mal einge­hal­ten, son­dern auch ihrem Sinn und Zweck nach angewen­det wer­den müssen. In diesem Fall war dies nicht geschehen, da die Min­der­heit­sliste durch Mehrheits­beschlüsse erschöpft wor­den war, es also keine Vertreter der Min­der­heit mehr gab und somit der Schutz der Min­der­heit nicht mehr gewährleis­tet war: eine Umge­hung des geset­zlichen Min­der­heitss­chutzes, kon­sta­tierte das LAG.

 

Nur For­mal­is­mus reicht nicht: Auch Arbeit­ge­ber soll­ten auf den Min­der­heit­en­schutz acht­en

Nach den Bes­tim­mungen des Betrieb­sver­fas­sungs­ge­set­zes (BetrVG) müssen die Mit­glieder des Betrieb­sauss­chuss­es (§ 27 BetrVG) und die freizustel­len­den Betrieb­sratsmit­glieder (§ 38 BetrVG) in geheimer Wahl nach den Prinzip­i­en der Ver­hält­niswahl gewählt wer­den.

Das soll sich­er­stellen, dass Min­der­heits­grup­pen im Betrieb­srat entsprechend ihrer Stärke berück­sichtigt und nicht durch die Mehrheit über­gan­gen wer­den kön­nen. Eine Abberu­fung dieser Mit­glieder ist nur durch eine geheime Abstim­mung mit ein­er Dreiviertelmehrheit möglich. Sollte die Min­der­heit­en­liste erschöpft sein, dür­fen neue Mit­glieder durch Mehrheitswahl bes­timmt wer­den.

Das LAG Köln hält den Fall für grund­sät­zlich bedeut­sam und hat die Rechts­beschw­erde zum Bun­de­sar­beits­gericht zuge­lassen, möglicher­weise ist das let­zte Wort in dieser Angele­gen­heit noch nicht gesprochen. Den­noch hat der Beschluss des LAG erhe­bliche Auswirkun­gen auf die Prax­is.

Arbeit­ge­ber und Betrieb­sräte müssen sich­er­stellen, dass der geset­zlich vorgeschriebene Min­der­heit­en­schutz bei allen Entschei­dun­gen berück­sichtigt wird. Dabei ist es nicht aus­re­ichend, lediglich die for­malen geset­zlichen Vor­gaben einzuhal­ten; auch der Sinn und Zweck des Geset­zes muss beachtet wer­den. Das bedeutet, dass Min­der­heit­en im Betrieb­srat nicht durch strate­gis­che Entschei­dun­gen benachteiligt wer­den dür­fen.

BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Über den autor

Aktuelles

Weitere Beiträge des Autors

Mann bewirbt sich auf Job für „Sekretärin“: Entschädigung wegen Diskriminierung?

Die Sekretärin, der Mechaniker – alte Stereotype in Stellenanzeigen können Unternehmen teuer zu stehen kommen. Sogenannte AGG-Hopper versuchen, Fehler auszunutzen und auf Entschädigung zu klagen. Das klappt nicht immer, doch die Fälle lehren viel darüber, worauf Arbeitgeber achten sollten, wenn sie eine Stelle ausschreiben. In letzter Zeit kommt es vermehrt zu Streitigkeiten aufgrund angeblicher Diskriminierung im Bewerbungsverfahren. Es gibt eine...

Bundesarbeitsgericht bestätigt: Arbeitgeber muss 100% Bonus für verspätete Zielvorgabe zahlen

Bonusziele sollen Mitarbeiter motivieren, die Unternehmensziele zu erreichen. Das setzt aber voraus, dass der Mitarbeiter seine Ziele auch kennt – und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem er sie auch realistischerweise noch erfüllen kann, urteilt nun auch das BAG. Frühe Zielvorgaben sind für Arbeitgeber spätestens ab jetzt ein Muss.   Bereits im Oktober hatten wir über das stets aktuelle Thema...