Tochter auf dem Schulweg begleitet: Warum die Unfallversicherung nicht zahlt

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Arbeitsrecht | 11. April 2024
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Auch ein Weg, der nicht direkt zum Arbeits­ort führt, kann unfall­ver­si­chert sein, wenn man sein Kind beglei­tet. Doch der nöti­ge Sach­zu­sam­men­hang kann schon feh­len, wenn das Kind ab einem bestimm­ten Punkt mit Mit­schü­lern zur Schu­le wei­ter gehen will. Bei Arbeits­un­fäl­len steckt der Teu­fel oft im Detail. 

Das Lan­des­so­zi­al­ge­richt Baden-Würt­tem­berg hat sich in sei­nem Urteil vom 22. Febru­ar (Az. 2022 ‑L 10 U 3232/21) mit der Fra­ge befasst, ob die gesetz­li­che Unfall­ver­si­che­rung greift, wenn ein Eltern­teil auf dem Weg zur Arbeit zunächst sein Kind auf dem Schul­weg beglei­tet und dann auf dem Rück­weg zum Arbeits­weg ver­un­fallt.

Die kla­gen­de Mut­ter hat­te ihre Toch­ter im Grund­schul­al­ter aus Sicher­heits­grün­den zu einem Treff­punkt beglei­tet, von dem aus meh­re­re Schul­kin­der gemein­sam den rest­li­chen Weg in die Schu­le zurück­leg­ten. Der Treff­punkt lag – von der Woh­nung der Mut­ter aus gese­hen – in ent­ge­gen­ge­setz­ter Rich­tung zu ihrer Arbeits­stät­te.

Auf dem Weg vom Treff­punkt der Schul­kin­der zu ihrer Arbeit wur­de die Mut­ter von einem Pkw erfasst und schwer ver­letzt. Der Unfall­ort lag noch vor dem Weg­stück von ihrer Woh­nung zur Arbeit.  Die Mut­ter des Kin­des ging davon aus, dass es sich hier­bei um einen Arbeits­un­fall han­delt, da sie auf dem Weg zu ihrer Arbeits­stät­te ver­un­glück­te.

In ers­ter Instanz gab das Sozi­al­ge­richt Stutt­gart ihr recht. Nach­dem der Unfall­ver­si­che­rungs­trä­ger Rechts­mit­tel ein­leg­te, hob das Lan­des­so­zi­al­ge­richt Baden-Würt­tem­berg das Urteil aber auf und wies die Kla­ge der Mut­ter voll­um­fäng­lich ab.

 

Auch Abwei­chung vom direk­ten Arbeits­weg kann ver­si­chert sein

Begrün­det haben die Rich­ter das damit, dass zwi­schen dem Unfall und der zu ver­si­chern­den Arbeits­tä­tig­keit der Mut­ter kein sach­li­cher Zusam­men­hang bestand.

Grund­sätz­lich bie­tet die gesetz­li­che Unfall­ver­si­che­rung Ver­si­che­rungs­schutz bei Berufs­krank­hei­ten und Arbeits­un­fäl­len. Arbeits­un­fäl­le sind dabei auch Wege­un­fäl­le, sprich Unfäl­le, die sich auf dem Weg von und zur Arbeit ereig­nen.  Auch eine Abwei­chung vom direk­ten Weg zur Arbeits­stät­te oder zum Wohn­ort kann gesetz­lich unfall­ver­si­chert sein, wenn ein aus­rei­chen­der Zusam­men­hang mit der Arbeit bestehen bleibt.  Eine sol­che Aus­nah­me schreibt zum Bei­spiel § 8 Abs. 2 Nr. 2a Sozi­al­ge­setz­buch (SGB) VII vor. Die Vor­schrift legt fest, dass aus­nahms­wei­se auch Wege unfall­ver­si­chert sind, die man unter­nimmt, um das im eige­nen Haus­halt leben­de Kind in frem­de Obhut zu geben, weil man arbei­ten geht.

Der Unfall ist also auch dann als Arbeits­un­fall zu dekla­rie­ren, wenn er auf einem ande­ren als dem direk­ten Arbeits­weg erfolgt. Grund für die Abwei­chung muss aller­dings sein, dass man wegen sei­ner beruf­li­chen Tätig­keit sein Kind frem­der Obhut anver­traut.

 

Aber nur bei frem­der Obhut, um zur Arbeit zu gehen

Im ent­schie­de­nen Fall hat der 10. Senat des Lan­de­so­zi­al­ge­richts jedoch die Vor­aus­set­zun­gen die­ser Aus­nah­me­vor­schrift ver­neint. Die Mut­ter habe ihre min­der­jäh­ri­ge Toch­ter allein aus Sicher­heits­grün­den zum Treff­punkt der ande­ren Schul­kin­der beglei­tet und nicht, um ihrer Arbeits­tä­tig­keit nach­zu­kom­men. Auch sei die Beglei­tung der Toch­ter zu einer Kinder-„Laufgruppe“ kein „Anver­trau­en in frem­de Obhut“ im Sin­ne des Geset­zes.

Nach Ansicht des Senats lag auch kein bloß klei­ner Umweg vor, so dass womög­lich noch ein Zusam­men­hang zur ver­si­cher­ten Tätig­keit bestan­den hät­te. Viel­mehr habe es sich um einen soge­nann­ten Abweg gehan­delt, da der direk­te Arbeits­weg nicht nur gering­fü­gig unter­bro­chen wor­den sei, denn der Treff­punkt der Kin­der lag genau in ent­ge­gen­ge­setz­ter Rich­tung zum Arbeits­weg. Da der Unfall sich vor Errei­chen des Weg­stücks von der Woh­nung der Mut­ter zur Arbeits­stät­te ereig­ne­te, konn­te der Ver­si­che­rungs­schutz auch nicht wie­der­lauf­le­ben und neu begrün­det wer­den, so die Rich­ter.  Das Urteil zeigt, dass der Teu­fel wie­der ein­mal im Detail steckt. Bei der Beur­tei­lung von Arbeits­un­fäl­len ist höchs­te Vor­sicht gebo­ten.

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