Mobilität und Flexibilität prägen den Arbeitsalltag vieler Erwerbstätiger. Der klassische nine-to-five-Job mit Präsenzpflicht im Betrieb weicht immer häufiger neuen Arbeitszeitmodellen, was durchaus im Sinne der Arbeitnehmer ist: so lassen sich Beruf und private Interessen leichter miteinander vereinbaren. Handy, Tablets und Social Media machen es möglich. Nicht nur Arbeitnehmer im Homeoffice oder Führungskräfte sind online auch außerhalb betrieblicher Arbeitszeiten zu erreichen. Nach einer Studie des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom) aus dem Jahr 2013 verfügen inzwischen 77 % aller Erwerbstätigen über mobile Endgeräte, die sie dienstlich nutzen. Knapp ein Drittel der befragten Erwerbstätigen gab an, jederzeit erreichbar zu sein, ein weiteres Drittel zumindest zu bestimmten Zeiten außerhalb der regulären Arbeitszeit. Dabei ist die Kontaktaufnahme via E‑Mail bedeutend häufiger als durch Anrufe: hier besteht offenbar eine gewisse Hemmschwelle. Im Gegensatz dazu werden E‑Mails zu jeder Tages- und Nachtzeit verschickt, oft auch mit eher niedrigem Informationsgehalt für die Empfänger. Einer Studie des Human Resources Competence Center der Hochschule Pforzheim (Schwaab, Personalmagazin 2014, 18 ff.) zufolge checken ca. 67 % der Mitarbeiter mit Führungsaufgaben ihren E‑Mail-Account auch am Wochenende ein oder mehrmals täglich, solche ohne Führungsposition immerhin noch zu 22 %. Interessanterweise streben die befragten Mitarbeiter ein schnelleres Antwortverhalten an, als sie es selbst von Kollegen erwarten. Möglicherweise setzen sie sich also selbst unter Druck. Wird die „Präsenzkultur“ also durch eine „Erreichbarkeitskultur“ ersetzt? Es stellt sich die Frage, wie dies arbeitsrechtlich zu bewerten ist.
Dabei geht es nicht nur um die allgemeine arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die Gesundheit des Arbeitnehmers möglichst vor Schäden zu bewahren. Ganz konkret schreibt das Arbeitszeitgesetz eine werktägliche Arbeitszeit von 8 Stunden, bei entsprechendem Ausgleich bis zu von 10 Stunden vor. Sonn- und gesetzliche Feiertage sind arbeitsfrei, es sei denn es liegt eine Ausnahmegenehmigung vor. Die Beschäftigung von Arbeitnehmern entgegen den Vorgaben des ArbZG ist bußgeldbewehrt, bei einer Gesundheitsgefährdung des Arbeitnehmers sieht § 23 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) sogar eine Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vor. In Anbetracht des immer häufiger diagnostizierten Burn-out-Syndroms, für das sicher auch der um sich greifende E‑Mail-Terror mitverantwortlich gemacht werden kann, stellt sich für den Personalverantwortlichen die Frage, wie Konflikte mit dem ArbZG vermieden werden können.
Ein weiterer Punkt ist die Frage der Vergütungspflicht: Die Rechtsprechung hat für die „Grauzone“ zwischen Arbeitszeit und arbeitsfreier Zeit die Kategorien „Arbeitsbereitschaft“, „Bereitschaftsdienst“ und „Rufbereitschaft“ entwickelt. Arbeitsbereitschaft liegt vor, wenn sich der Arbeitnehmer an seinem Arbeitsort aufhält, jedoch weniger als üblich beansprucht wird (z.B. der Kundenbetreuer wartet auf den sich verspätenden Kunden). Arbeitsbereitschaft ist wie Arbeitszeit zu werten, wird jedoch u.U. geringfügiger bezahlt. Dasselbe gilt für den „Bereitschaftsdienst“, bei dem sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten und bei Bedarf unverzüglich die Arbeit aufzunehmen hat. „Rufbereitschaft“ liegt vor, wenn der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber lediglich erreichbar sein muss, um gegebenenfalls seinen Dienst aufnehmen zu können, wobei der Arbeitnehmer jedoch seinen Aufenthaltsort grundsätzlich frei wählen darf. Hier wird nur die tatsächlich in Anspruch genommene Arbeitsleistung des Arbeitnehmers vergütet. Wird nun vom Arbeitgeber erwartet, dass der Arbeitnehmer außerhalb seiner gewöhnlichen Arbeitszeit seinen E‑Mail-Account überprüft und reagiert, so kann dies durchaus als Rufbereitschaft zu werten sein. Das BAG hat einen Fall, in dem es um die Bezahlung einer tariflichen Rufbereitschaftsvergütung nach dem TVöD ging, entsprechend entschieden (BAG, Urteil vom 29. Juni 2000, 6 AZR 900/98).
Allerdings: In Fällen, in denen der Arbeitnehmer ohne ausdrückliche oder zumindest konkludente Weisung des Arbeitgebers – also rein aus innerem, freiwilligem Antrieb – tätig wird, dürfte in aller Regel weder ein Verstoß gegen das ArbZG vorliegen noch eine Vergütungspflicht entstehen. Problematisch ist jedoch, wann der Arbeitnehmer von einer konkludenten Arbeitsweisung ausgehen darf. Hinweis kann z.B. das Ausmaß der zeitlichen Beanspruchung sein, etwa, wenn das Arbeitspensum anders gar nicht zu schaffen ist, oder eine entsprechende Erwartungshaltung des Vorgesetzten kommuniziert wurde.
Um negative Folgen für alle Beteiligten abzuwenden, wird von Arbeitgeberseite zu den unterschiedlichsten Maßnahmen gegriffen: der Katalog reicht von Appellen an die Eigenverantwortung der Mitarbeiter, über die Ausgabe von Richtlinien zur Nutzung von mobilen Endgeräten, den Abschluss von Betriebsvereinbarungen bis hin zum drastischen Abschalten des Servers nach Feierabend.
Die Studie des Human Resources Competence Center der Hochschule Pforzheim zeigte jedoch, dass diese Regeln faktisch oft nicht gelebt werden: Die Anzahl der gemessenen Störungen in der arbeitsfreien Zeit durch E‑Mails ist in den Unternehmen, unabhängig davon, ob Regelungen aufgestellt wurden oder nicht, in etwa gleich.
Möglicherweise lässt dies den Schluss zu, dass die Mitarbeiter die Regeln als Bevormundung betrachten, sie im Gegenzug erwarten, dass es der Arbeitgeber auch duldet, wenn private E‑Mails während der Arbeitszeit miterledigt werden.
Die Tendenz zur Entgrenzung von Privatem und Beruflichem lässt sich nicht übersehen. Die Frage, ob die arbeitsrechtlichen Regelungen und insbesondere das ArbZG noch zeitgemäß sind, drängt sich auf. Allerdings sind Arbeitgeber mit Hinblick auf die geschilderte Problematik dennoch gut beraten, klare Regelungen zur ständigen Erreichbarkeit der Arbeitnehmer aufzustellen, und nicht auf eine Lösung durch den Gesetzgeber zu warten.
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