Arbeitszeiterfassungssysteme: Warum Unternehmen lieber noch abwarten sollten

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Das Gesetz zur Arbeits­zeit­er­fas­sung ist noch nicht da, doch vie­le Unter­neh­men berei­ten sich schon vor. Ein aktu­el­les Urteil räumt dem Betriebs­rat aber ein Initia­tiv­recht bei der Gestal­tung der Zeit­er­fas­sung ein – und betont, dass Unter­neh­men die­ses Recht nicht umge­hen dür­fen, indem sie vor­her Nägel mit Köp­fen machen.

Die Ein­füh­rung und Nut­zung von Arbeits­zeit­er­fas­sungs­sys­te­men in Unter­neh­men ste­hen vor der Tür. Nach Urtei­len des Euro­päi­schen Gerichts­hofs und des Bun­des­ar­beits­ge­richts ist klar, dass auch Deutsch­land die Arbeits­zeit­er­fas­sung ein­füh­ren muss. Wäh­rend das Gesetz, das hier­zu­lan­de klä­ren soll, wel­che Anfor­de­run­gen in Sachen Arbeits­zeit­er­fas­sung an die Unter­neh­men gestellt wer­den, wei­ter auf sich war­ten lässt, lan­den die ers­ten Rechts­fra­gen der Unter­neh­men, die sich dar­auf bereits vor­be­rei­ten wol­len, schon bei den Gerich­ten.

Das gilt auch für die Fra­ge nach dem Umfang der Mit­be­stim­mungs­rech­te des Betriebs­rats nach § 87 Abs. 1 BetrVG. Bei der Ein­füh­rung von Zeit­er­fas­sungs­sys­te­men ist § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG rele­vant: Die Norm regelt die Ein­füh­rung und Anwen­dung von tech­ni­schen Ein­rich­tun­gen, die dazu bestimmt sind, das Ver­hal­ten oder die Leis­tung der Arbeit­neh­mer über­wa­chen.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat im Jahr 2022 die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass der Betriebs­rat kein Initia­tiv­recht bei der Ein­füh­rung von Arbeits­zeit­er­fas­sungs­sys­te­men habe (BAG, Urteil vom 13. Sep­tem­ber 2022, Az. 1 ABR 22/21). Mit einer neue­ren Ent­schei­dung bil­ligt aber das Lan­des­ar­beits­ge­richt Mün­chen (Beschluss vom 22. Mai 2023, Az. 4 TaBV 24/23) dem Betriebs­rat ein Initia­tiv­recht bei der Aus­ge­stal­tung der Arbeits­zeit­er­fas­sung zu. Dem­nach kön­ne der Betriebs­rat maß­geb­lich dar­über mit­be­stim­men, wie die Arbeits­zeit­er­fas­sung im Unter­neh­men umge­setzt wird.

 

LAG Mün­chen: Betriebs­rat darf bei Aus­ge­stal­tung und Art der Zeit­er­fas­sung mit­re­den

Hin­ter­grund der Ent­schei­dung des LAG Mün­chen war die For­de­rung eines Betriebs­rats nach Ver­hand­lun­gen über die Arbeits­zeit­er­fas­sung für Außen­dienst­mit­ar­bei­ter. Bis­her gab es in dem Unter­neh­men nur Rege­lun­gen für den Innen­dienst. Die Arbeit­ge­be­rin lehn­te die For­de­rung des Betriebs­rats ab, da bereits ein elek­tro­ni­sches Zeit­er­fas­sungs­sys­tem gewählt wor­den sei. Die Ent­schei­dung über die Arbeits­zeit­er­fas­sung für den Außen­dienst wur­de auf­grund der erwar­te­ten Geset­zes­än­de­run­gen vor­erst zurück­ge­stellt. Der Betriebs­rat wand­te sich an das Arbeits­ge­richt Mün­chen, das eine Eini­gungs­stel­le ein­setz­te und fest­stell­te, dass der Betriebs­rat ein Initia­tiv­recht besit­ze, um eine kon­kre­te Rege­lung zur Arbeits­zeit­er­fas­sung im Unter­neh­men zu erzwin­gen.

Auch wenn den Arbeit­neh­mer­ver­tre­tern ent­spre­chend der Recht­spre­chung des BAG kein Initia­tiv­recht hin­sicht­lich der Ein­füh­rung der Zeit­er­fas­sung zusteht, haben sie, so auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt Mün­chen, doch ein Initia­tiv­recht bei der Aus­ge­stal­tung und der Art der Zeit­er­fas­sung. Die Ver­pflich­tung, ein Zeit­er­fas­sungs­sys­tem ein­zu­füh­ren, ergibt sich ent­spre­chend der Recht­spre­chung des BAG aus der Ver­pflich­tung, den Schutz der Arbeit­neh­mer zu gewähr­leis­ten. Die Aus­ge­stal­tung der Arbeits­zeit­er­fas­sung fällt unter das Mit­be­stim­mungs­recht des Betriebs­ra­tes.

Ein zen­tra­les Ele­ment des Beschlus­ses ist die Klar­stel­lung, dass die Posi­ti­on des Betriebs­rats nicht durch bereits getrof­fe­ne Vor­ent­schei­dun­gen des Arbeit­ge­bers unter­gra­ben wer­den darf.

 

Fol­gen für die Pra­xis: Lie­ber kein vor­aus­ei­len­der Gehor­sam

Die Ent­schei­dung ist uner­freu­lich für alle Arbeit­ge­ber, die abwar­ten woll­ten, wie sich der Gesetz­ge­ber posi­tio­niert, bevor sie die Arbeits­zeit­er­fas­sung ein­füh­ren. Wenn jetzt Betriebs­ver­ein­ba­run­gen über Arbeits­zeit­er­fas­sung abge­schlos­sen wer­den, besteht näm­lich das Risi­ko, dass die­se nun womög­lich mit viel Auf­wand ver­han­delt und umge­setzt wer­den, nur um dann, wenn der Gesetz­ge­ber die Ver­pflich­tung zur Arbeits­zeit­er­fas­sung im Arbeits­zeit­ge­setz umsetzt, ggf. wie­der ange­passt wer­den zu müs­sen. Dadurch wird unter Umstän­den erheb­li­che Dop­pel­ar­beit ver­ur­sacht.

Inso­weit kann man Arbeit­ge­bern nur raten, sich mit dem Betriebs­rat abzu­stim­men und dar­auf hin­zu­wir­ken, dass die Par­tei­en, bevor gege­be­nen­falls kos­ten­in­ten­si­ve Maß­nah­men ergrif­fen wer­den, abwar­ten, wie der Gesetz­ge­ber die Pflicht zur Zeit­er­fas­sung umset­zen wird, da das nicht mehr lan­ge dau­ern dürf­te. Wenn sich Arbeit­ge­ber und Betriebs­rat nicht eini­gen kön­nen und es zur Eini­gungs­stel­le kommt, wird sich das Ver­fah­ren ohne­hin eini­ge Zeit hin­zie­hen. Bis dahin soll­te hof­fent­lich auch der Gesetz­ent­wurf für die Ände­rung des Arbeits­zeit­ge­set­zes beschlos­sen sein, so dass dann auch der aktu­el­le Geset­zes­stand wie­der für die Betriebs­ver­ein­ba­rung ohne den Spruch der Eini­gungs­stel­le berück­sich­tigt wer­den kann.

 

Dr. Chris­ti­an Oster­mai­er ist Part­ner bei SNP Schla­wi­en Part­ner­schaft mbB. Er berät Unter­neh­men aller Grö­ßen, meist mit­tel­stän­di­sche Unter­neh­men, sowie deren Gesell­schaf­ter in allen Fra­gen des Gesell­schafts­rechts, ins­be­son­de­re auch bei Unter­neh­mens­trans­ak­tio­nen, und des Arbeits­rechts, hier u.a. zu betriebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Fra­gen, wie dem Abschluss von Betriebs­ver­ein­ba­run­gen. Dane­ben berät Dr. Oster­mai­er lei­ten­de Ange­stell­te, Geschäfts­füh­rer und Vor­stän­de. Er ver­fügt über umfang­rei­che Erfah­rung in den Berei­chen Bio­tech­no­lo­gie, Soft­ware, Han­del und Ver­si­che­run­gen. https://de.linkedin.com/in/ostermaier-christian-898a3027

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