Bundesarbeitsgericht beschränkt das Recht auf Unerreichbarkeit nach Feierabend

© Goffkein/stock.adobe.com
BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt stellt in einem aktu­el­len Urteil klar, dass Arbeit­neh­mer kei­nes­wegs ein abso­lu­tes Recht haben, in ihrer Frei­zeit nicht erreich­bar zu sein. Arbeit­ge­ber kön­nen in bestimm­ten Fäl­len ver­trag­lich ver­ein­ba­ren, dass Mit­ar­bei­ter auch nach Dienst­schluss für dienst­li­che Anwei­sun­gen erreich­bar sein müs­sen.

Auch nach der regu­lä­ren Arbeits­zeit sind Arbeit­neh­mer nicht immer vor dienst­li­chen Anfra­gen sicher, so ent­schied das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in einem aktu­el­len Fall. Ein Not­fall­sa­ni­tä­ter hat­te ver­sucht, gegen die Kür­zung sei­nes Arbeits­zeit­kon­tos vor­zu­ge­hen, nach­dem er kurz­fris­ti­ge Ände­run­gen sei­nes Dienst­plans zu spät mit­be­kom­men und sei­nen Dienst des­halb ver­spä­tet ange­tre­ten hat­te. Die Ent­schei­dung des BAG (Urteil vom 23.08.2023 – 5 AZR 349/22) bringt eine ande­re Per­spek­ti­ve in die Dis­kus­si­on über die Erreich­bar­keit von Arbeit­neh­mern nach Dienst­schluss.

In der Ver­gan­gen­heit hat­ten Lan­des­ar­beits­ge­rich­te stets betont, dass ein Arbeit­neh­mer in sei­ner Frei­zeit nicht dazu ver­pflich­tet sei, dienst­li­che SMS zu lesen. Ein Lan­des­ar­beits­ge­richt pos­tu­lier­te sogar fei­er­lich ein „Recht auf Uner­reich­bar­keit“ – Arbeit­neh­mer soll­ten selbst ent­schei­den dür­fen, wann und wie sie dienst­lich außer­halb ihrer Arbeits­zeit erreich­bar sein wol­len. Doch jetzt hat das BAG eine Aus­nah­me geschaf­fen.

 

Der Not­fall­sa­ni­tä­ter im Streit um Arbeits­stun­den

Der kla­gen­de Not­fall­sa­ni­tä­ter woll­te von sei­nem Arbeit­ge­ber, der den Ret­tungs­dienst in Schles­wig-Hol­stein betreibt, 11,75 Arbeits­stun­den gut­schrei­ben las­sen, was der Arbeit­ge­ber jedoch ablehn­te.

Das resul­tier­te aus zwei kurz­fris­ti­gen Ände­run­gen sei­ner Diens­te, bei denen der Arbeit­ge­ber den Sani­tä­ter am Vor­tag sowohl per SMS als auch tele­fo­nisch benach­rich­tigt hat­te. An einem der bei­den Tage, als der Arbeit­ge­ber ihm die Ände­rung im Dienst­plan bereits um 13:20 Uhr am Vor­tag geschrie­ben hat­te, zeig­te der Sani­tä­ter erst um 7.30 Uhr sei­ne Ein­satz­be­reit­schaft an, obwohl er bereits um 6.00 Uhr hät­te anfan­gen müs­sen, und das auch noch an einer ande­ren Ret­tungs­wa­che.

Die Betriebs­ver­ein­ba­rung, ins­be­son­de­re bezüg­lich der Kon­kre­ti­sie­rung von Sprin­ger­diens­ten, sah die Mög­lich­keit einer sol­chen kurz­fris­ti­gen Umpla­nung vor. Gemäß § 4 Abs. 8 der Betriebs­ver­ein­ba­rung besteht die Opti­on, unklar zuge­teil­te Sprin­ger­diens­te für Tag- und Spät­diens­te bis 20 Uhr des Vor­tags vor Dienst­be­ginn im Dienst­plan kon­kret zu gestal­ten. Die Arbeit­neh­mer haben die Gele­gen­heit, den Dienst­plan jeder­zeit über das Inter­net mit­hil­fe des vom Arbeit­ge­ber ein­ge­rich­te­ten „Self­Ser­vice“ ein­zu­se­hen. Der kla­gen­de Not­fall­sa­ni­tä­ter aber hat­te in bei­den Fäl­len die Mit­tei­lun­gen nicht recht­zei­tig abge­ru­fen und trat ver­spä­tet zum Dienst an.

 

Die Gerich­te ent­schie­den erst unter­schied­lich

Das Arbeits­ge­richt Elms­horn (ArbG Elms­horn, Urteil vom 27.01.2022 – 5 Ca 1023 a/21) wies sei­ne  Kla­ge auf nach­träg­li­che Gut­schrift der Arbeits­stun­den ab und argu­men­tier­te, dass der Klä­ger eine Erkun­di­gungs­pflicht hat­te und das Inter­net­to­ol des Arbeit­ge­bers nut­zen konn­te, um sich über Dienst­än­de­run­gen zu infor­mie­ren.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein (LAG Schles­wig-Hol­stein, Urteil vom 27.09.2022 – 1 Sa 39 öD/22) sah die Sache anders und ver­ur­teil­te den Arbeit­ge­ber zur Gut­schrift der Arbeits­zei­ten und zur Ent­fer­nung der Abmah­nung aus der Per­so­nal­ak­te, die der Arbeit­neh­mer wegen der Ver­spä­tun­gen kas­siert hat­te. Es beton­te das Recht des Klä­gers auf Uner­reich­bar­keit in sei­ner Frei­zeit.

Das BAG urteil­te hin­ge­gen nun, dass der Sani­tä­ter sei­ne Arbeits­leis­tung nicht recht­zei­tig ange­bo­ten habe. Die Rich­ter stell­ten fest, dass der Arbeit­ge­ber des­halb nicht im Annah­me­ver­zug war und somit das Arbeits­zeit­kon­to kür­zen durf­te. Auch die Abmah­nung bleibt bestehen. Das höchs­te deut­sche Arbeits­ge­richt beton­te, dass der Sani­tä­ter ver­pflich­tet gewe­sen wäre, kurz­fris­ti­ge Ände­run­gen sei­nes Dienst­plans zur Kennt­nis zu neh­men, und zwar auch außer­halb der regu­lä­ren Dienst­zeit.

 

Erreich­bar­keit mit Gren­zen: ver­trag­lich ver­ein­ba­ren

Das BAG stütz­te sich auf das Direk­ti­ons­recht (§ 106 S. 1 GewO) des Arbeit­ge­bers und argu­men­tier­te, dass des­sen Rege­lun­gen nicht gegen gel­ten­des Recht ver­sto­ßen. Die Pflicht zur Kennt­nis­nah­me von dienst­li­chen Anwei­sun­gen bestehe auch außer­halb der eigent­li­chen Dienst­zeit.

Die­se Ent­schei­dung des BAG ist zu begrü­ßen, da sie dem soge­nann­ten Recht auf Uner­reich­bar­keit des Arbeit­neh­mers kla­re Gren­zen setzt. Das Urteil trägt dem drin­gen­den Bedürf­nis von Unter­neh­men Rech­nung, Dienst­plä­ne auch kurz­fris­tig anpas­sen zu kön­nen. Arbeit­neh­mer sind dem­nach auch außer­halb der Arbeits­zeit ver­pflich­tet, dienst­li­che Wei­sun­gen zur Kennt­nis zu neh­men.

Aller­dings ist Arbeit­ge­bern unbe­dingt zu raten, bezüg­lich Kon­kre­ti­sie­rung und ggf. Ände­rung des Dienst­plans kla­re Rege­lun­gen in die Betriebs­ver­ein­ba­rung oder die Arbeits­ver­trä­ge auf­zu­neh­men. Nun steht rechts­si­cher fest, dass das mög­lich ist. Die­se Mög­lich­keit soll­ten Arbeit­ge­ber, die ein Bedürf­nis nach kurz­fris­ti­gen Ände­run­gen von Dienst­plä­nen haben, unbe­dingt nut­zen.

 

Dr. Chris­ti­an Oster­mai­er ist Part­ner bei SNP Schla­wi­en Part­ner­schaft mbB. Er berät Unter­neh­men aller Grö­ßen, meist mit­tel­stän­di­sche Unter­neh­men, sowie deren Gesell­schaf­ter in allen Fra­gen des Gesell­schafts­rechts, ins­be­son­de­re auch bei Unter­neh­mens­trans­ak­tio­nen, und des Arbeits­rechts, hier u.a. zu betriebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Fra­gen, wie dem Abschluss von Betriebs­ver­ein­ba­run­gen. Dane­ben berät Dr. Oster­mai­er lei­ten­de Ange­stell­te, Geschäfts­füh­rer und Vor­stän­de. Er ver­fügt über umfang­rei­che Erfah­rung in den Berei­chen Bio­tech­no­lo­gie, Soft­ware, Han­del und Ver­si­che­run­gen.  https://de.linkedin.com/in/ostermaier-christian-898a3027

BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Über den autor

Aktuelles

Weitere Beiträge des Autors

Alternative Feiertagsregelungen: Wie Unternehmen auf religiöse Vielfalt Rücksicht nehmen können

Was tun, wenn Arbeitnehmer Weihnachten nicht feiern? In einer multikulturellen Arbeitswelt stehen Unternehmen vor der Herausforderung, religiöse Vielfalt zu berücksichtigen – besonders, wenn es um Feiertage geht. Das deutsche Arbeitsrecht bietet flexible Lösungen, von Gleitzeit über Sonderurlaub bis hin zum Tausch von Feiertagen.   Auch die Bemühungen der US-amerikanischen Regierung, Inklusions- und Vielfaltsmaßnahmen zurückzudrängen, ändern nichts daran, dass wir in...

Mann bewirbt sich auf Job für „Sekretärin“: Entschädigung wegen Diskriminierung?

Die Sekretärin, der Mechaniker – alte Stereotype in Stellenanzeigen können Unternehmen teuer zu stehen kommen. Sogenannte AGG-Hopper versuchen, Fehler auszunutzen und auf Entschädigung zu klagen. Das klappt nicht immer, doch die Fälle lehren viel darüber, worauf Arbeitgeber achten sollten, wenn sie eine Stelle ausschreiben. In letzter Zeit kommt es vermehrt zu Streitigkeiten aufgrund angeblicher Diskriminierung im Bewerbungsverfahren. Es gibt eine...