Mundraub unter Kollegen: Abmahnung oder Kündigung?

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Das ArbG Mann­heim hat­te sich kürz­lich mit einem Fall von Mund­raub unter Kol­le­gen zu befas­sen: Einer Hei­ler­zie­hungs­pfle­ge­rin, die bereits seit über 30 Jah­ren im Dienst des Arbeit­ge­bers und zudem kurz vor der Ren­te stand, wur­de vor­ge­wor­fen, eine Tafel Scho­ko­la­de einer Kol­le­gin auf­ge­ges­sen zu haben! Damit nicht genug, hat sie angeb­lich auch noch einen frem­den Jute­beu­tel aus einem Auf­ent­halts­raum genom­men und einer Schü­le­rin als „Wich­tel­ge­schenk“ über­las­sen. Und – hor­ri­bi­le dic­tu — sie hat­te auch noch ihre pri­va­te Wäsche in der inter­nats­ei­ge­nen Wasch­ma­schi­ne zusam­men mit den Sachen der Schü­ler gewa­schen! Was soll man dazu sagen? Der Trä­ger der Ein­rich­tung jeden­falls hielt eine Fort­set­zung des Arbeits­ver­hält­nis­ses für unzu­mut­bar. Er sprach kei­ne Abmah­nung aus son­dern kün­dig­te frist­los. Die Arbeit­neh­me­rin wehr­te sich und erhob Kün­di­gungs­schutz­kla­ge.

Im Pro­zess­ver­lauf konn­te der Ver­bleib der angeb­lich ent­wen­de­ten Tasche nicht auf­ge­klärt wer­den. Eben­so wenig konn­te geklärt wer­den, ob der Arbeit­ge­ber die pri­va­te Nut­zung der Wasch­ma­schi­ne zumin­dest gedul­det hat­te – ein aus­drück­li­ches Ver­bot konn­te das Gericht jeden­falls nicht fest­stel­len. So blieb der Vor­wurf des uner­laub­ten Scho­ko­la­dessens. Zwar hat­te die angeb­li­che Delin­quen­tin die Scho­ko­la­de (Wert: 2,50 €) ersetzt. Den­noch ver­steht die Recht­spre­chung bei Eigen­tums­de­lik­ten – und sei­en sie noch so gering­fü­gig — in der Regel kei­nen Spaß! Berühmt gewor­den ist der sog. Bie­nen­stich-Fall (BAG, Urteil vom 17. Mai 1984, Az.: 2 AZR 3/83): eine Ver­käu­fe­rin hat­te einen Bie­nen­stich aus der Aus­la­ge genom­men und ver­speist. Das BAG hielt die frist­lo­se Kün­di­gung für gerecht­fer­tigt! Denn auch bei gering­fü­gi­gen finan­zi­el­len Schä­den zählt der mit der Tat ver­bun­de­ne Ver­trau­ens­ver­lust. Des­halb kann es auch kei­nen abso­lu­ten Schwel­len­wert, bis zu dem eine Eigen­tums­ver­let­zung noch vom Arbeit­ge­ber zu dul­den wäre, geben. Auf der glei­chen Linie lie­gen Urtei­le des ArbG Lör­rach (Urteil vom 16. Okto­ber 2009, Az.: 4 Ca 248/09), wo sechs Maul­ta­schen mit­ge­nom­men wur­den, oder des LAG Schles­wig-Hol­stein (Urteil vom 18. Janu­ar 2005, Az.: 2 Sa 413/04), wo es um ein Päck­chen Frisch­kä­se ging. Den­noch ist auch eine Eigen­tums­ver­let­zung – sei es zu Las­ten des Arbeit­ge­bers oder eines Kol­le­gen — kein „abso­lu­ter Kün­di­gungs­grund“, der stets eine außer­or­dent­li­che Kün­di­gung recht­fer­tigt. Viel­mehr muss in jedem Ein­zel­fall geprüft wer­den, ob dem Arbeit­ge­ber die Fort­set­zung des Arbeits­ver­hält­nis­ses zumut­bar ist. Dabei sind die kon­kre­ten Umstän­de des Fal­les zu wür­di­gen. Die wider­strei­ten­den Inter­es­sen von Arbeit­ge­ber und Arbeit­neh­mer sind gegen­ein­an­der abzu­wä­gen. Zudem ist der Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­grund­satz zu beach­ten: ggf. muss ein Pflich­ten­ver­stoß erst abge­mahnt wer­den, und erst im Wie­der­ho­lungs­fall kann dann gekün­digt wer­den. So auch das BAG im eben­so berühm­ten „Emme­ly-Fall“ (BAG, Urteil vom 10. Juni 2010, Az.: 2 AZR 541/09): Eine Kas­sie­re­rin hat­te frem­de Pfand­bons (Wert: 0,48 € und 0,82 €) für sich selbst ein­ge­löst. Weder die frist­lo­se noch die vor­sorg­lich aus­ge­spro­che­ne ordent­li­che Kün­di­gung hat­te vor dem BAG Bestand. Eine Abmah­nung hät­te genügt, fan­den die Rich­ter.

Im Scho­ko­la­den-Fall haben die Par­tei­en auf Anra­ten des Gerichts schließ­lich einen Ver­gleich geschlos­sen, wonach die frist­lo­se Kün­di­gung gegen eine Abmah­nung „aus­ge­tauscht“ wird. Die Hei­ler­zie­hungs­pfle­ge­rin kehr­te an ihren Arbeits­platz zurück.

Fazit: Bei einer Eigen­tums­ver­let­zung schützt die Gering­fü­gig­keit nicht prin­zi­pi­ell vor einer frist­lo­sen Kün­di­gung. Ande­rer­seits ist sie auch kein abso­lu­ter Kün­di­gungs­grund. Ent­schei­dend sind stets die Umstän­de des Ein­zel­falls.

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