Ständige Erreichbarkeit – auch ein Problem für den Arbeitgeber?

BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Mobi­li­tät und Fle­xi­bi­li­tät prä­gen den Arbeits­all­tag vie­ler Erwerbs­tä­ti­ger. Der klas­si­sche nine-to-five-Job mit Prä­senz­pflicht im Betrieb weicht immer häu­fi­ger neu­en Arbeits­zeit­mo­del­len, was durch­aus im Sin­ne der Arbeit­neh­mer ist: so las­sen sich Beruf und pri­va­te Inter­es­sen leich­ter mit­ein­an­der ver­ein­ba­ren. Han­dy, Tablets und Social Media machen es mög­lich. Nicht nur Arbeit­neh­mer im Home­of­fice oder Füh­rungs­kräf­te sind online auch außer­halb betrieb­li­cher Arbeits­zei­ten zu errei­chen. Nach einer Stu­die des Bun­des­ver­bands Infor­ma­ti­ons­wirt­schaft, Tele­kom­mu­ni­ka­ti­on und neue Medi­en e.V. (Bit­kom) aus dem Jahr 2013 ver­fü­gen inzwi­schen 77 % aller Erwerbs­tä­ti­gen über mobi­le End­ge­rä­te, die sie dienst­lich nut­zen. Knapp ein Drit­tel der befrag­ten Erwerbs­tä­ti­gen gab an, jeder­zeit erreich­bar zu sein, ein wei­te­res Drit­tel zumin­dest zu bestimm­ten Zei­ten außer­halb der regu­lä­ren Arbeits­zeit. Dabei ist die Kon­takt­auf­nah­me via E‑Mail bedeu­tend häu­fi­ger als durch Anru­fe: hier besteht offen­bar eine gewis­se Hemm­schwel­le. Im Gegen­satz dazu wer­den E‑Mails zu jeder Tages- und Nacht­zeit ver­schickt, oft auch mit eher nied­ri­gem Infor­ma­ti­ons­ge­halt für die Emp­fän­ger. Einer Stu­die des Human Resour­ces Com­pe­tence Cen­ter der Hoch­schu­le Pforz­heim (Schwa­ab, Per­so­nal­ma­ga­zin 2014, 18 ff.) zufol­ge che­cken ca. 67 % der Mit­ar­bei­ter mit Füh­rungs­auf­ga­ben ihren E‑Mail-Account auch am Wochen­en­de ein oder mehr­mals täg­lich, sol­che ohne Füh­rungs­po­si­ti­on immer­hin noch zu 22 %. Inter­es­san­ter­wei­se stre­ben die befrag­ten Mit­ar­bei­ter ein schnel­le­res Ant­wort­ver­hal­ten an, als sie es selbst von Kol­le­gen erwar­ten. Mög­li­cher­wei­se set­zen sie sich also selbst unter Druck. Wird die „Prä­senz­kul­tur“ also durch eine „Erreich­bar­keits­kul­tur“ ersetzt? Es stellt sich die Fra­ge, wie dies arbeits­recht­lich zu bewer­ten ist.

Dabei geht es nicht nur um die all­ge­mei­ne arbeits­recht­li­che Für­sor­ge­pflicht des Arbeit­ge­bers, die Gesund­heit des Arbeit­neh­mers mög­lichst vor Schä­den zu bewah­ren. Ganz kon­kret schreibt das Arbeits­zeit­ge­setz eine werk­täg­li­che Arbeits­zeit von 8 Stun­den, bei ent­spre­chen­dem Aus­gleich bis zu von 10 Stun­den vor. Sonn- und gesetz­li­che Fei­er­ta­ge sind arbeits­frei, es sei denn es liegt eine Aus­nah­me­ge­neh­mi­gung vor. Die Beschäf­ti­gung von Arbeit­neh­mern ent­ge­gen den Vor­ga­ben des ArbZG ist buß­geld­be­wehrt, bei einer Gesund­heits­ge­fähr­dung des Arbeit­neh­mers sieht § 23 Arbeits­zeit­ge­setz (ArbZG) sogar eine Geld- oder Frei­heits­stra­fe bis zu einem Jahr vor. In Anbe­tracht des immer häu­fi­ger dia­gnos­ti­zier­ten Burn-out-Syn­droms, für das sicher auch der um sich grei­fen­de E‑Mail-Ter­ror mit­ver­ant­wort­lich gemacht wer­den kann, stellt sich für den Per­so­nal­ver­ant­wort­li­chen die Fra­ge, wie Kon­flik­te mit dem ArbZG ver­mie­den wer­den kön­nen.

Ein wei­te­rer Punkt ist die Fra­ge der Ver­gü­tungs­pflicht: Die Recht­spre­chung hat für die „Grau­zo­ne“ zwi­schen Arbeits­zeit und arbeits­frei­er Zeit die Kate­go­rien „Arbeits­be­reit­schaft“, „Bereit­schafts­dienst“ und „Ruf­be­reit­schaft“ ent­wi­ckelt. Arbeits­be­reit­schaft liegt vor, wenn sich der Arbeit­neh­mer an sei­nem Arbeits­ort auf­hält, jedoch weni­ger als üblich bean­sprucht wird (z.B. der Kun­den­be­treu­er war­tet auf den sich ver­spä­ten­den Kun­den). Arbeits­be­reit­schaft ist wie Arbeits­zeit zu wer­ten, wird jedoch u.U. gering­fü­gi­ger bezahlt. Das­sel­be gilt für den „Bereit­schafts­dienst“, bei dem sich der Arbeit­neh­mer an einem vom Arbeit­ge­ber bestimm­ten Ort auf­zu­hal­ten und bei Bedarf unver­züg­lich die Arbeit auf­zu­neh­men hat. „Ruf­be­reit­schaft“ liegt vor, wenn der Arbeit­neh­mer für den Arbeit­ge­ber ledig­lich erreich­bar sein muss, um gege­be­nen­falls sei­nen Dienst auf­neh­men zu kön­nen, wobei der Arbeit­neh­mer jedoch sei­nen Auf­ent­halts­ort grund­sätz­lich frei wäh­len darf. Hier wird nur die tat­säch­lich in Anspruch genom­me­ne Arbeits­leis­tung des Arbeit­neh­mers ver­gü­tet. Wird nun vom Arbeit­ge­ber erwar­tet, dass der Arbeit­neh­mer außer­halb sei­ner gewöhn­li­chen Arbeits­zeit sei­nen E‑Mail-Account über­prüft und reagiert, so kann dies durch­aus als Ruf­be­reit­schaft zu wer­ten sein. Das BAG hat einen Fall, in dem es um die Bezah­lung einer tarif­li­chen Ruf­be­reit­schafts­ver­gü­tung nach dem TVöD ging, ent­spre­chend ent­schie­den (BAG, Urteil vom 29. Juni 2000, 6 AZR 900/98).

Aller­dings: In Fäl­len, in denen der Arbeit­neh­mer ohne aus­drück­li­che oder zumin­dest kon­klu­den­te Wei­sung des Arbeit­ge­bers – also rein aus inne­rem, frei­wil­li­gem Antrieb – tätig wird, dürf­te in aller Regel weder ein Ver­stoß gegen das ArbZG vor­lie­gen noch eine Ver­gü­tungs­pflicht ent­ste­hen. Pro­ble­ma­tisch ist jedoch, wann der Arbeit­neh­mer von einer kon­klu­den­ten Arbeits­wei­sung aus­ge­hen darf. Hin­weis kann z.B. das Aus­maß der zeit­li­chen Bean­spru­chung sein, etwa, wenn das Arbeits­pen­sum anders gar nicht zu schaf­fen ist, oder eine ent­spre­chen­de Erwar­tungs­hal­tung des Vor­ge­setz­ten kom­mu­ni­ziert wur­de.

Um nega­ti­ve Fol­gen für alle Betei­lig­ten abzu­wen­den, wird von Arbeit­ge­ber­sei­te zu den unter­schied­lichs­ten Maß­nah­men gegrif­fen: der Kata­log reicht von Appel­len an die Eigen­ver­ant­wor­tung der Mit­ar­bei­ter, über die Aus­ga­be von Richt­li­ni­en zur Nut­zung von mobi­len End­ge­rä­ten, den Abschluss von Betriebs­ver­ein­ba­run­gen bis hin zum dras­ti­schen Abschal­ten des Ser­vers nach Fei­er­abend.

Die Stu­die des Human Resour­ces Com­pe­tence Cen­ter der Hoch­schu­le Pforz­heim zeig­te jedoch, dass die­se Regeln fak­tisch oft nicht gelebt wer­den: Die Anzahl der gemes­se­nen Stö­run­gen in der arbeits­frei­en Zeit durch E‑Mails ist in den Unter­neh­men, unab­hän­gig davon, ob Rege­lun­gen auf­ge­stellt wur­den oder nicht, in etwa gleich.

Mög­li­cher­wei­se lässt dies den Schluss zu, dass die Mit­ar­bei­ter die Regeln als Bevor­mun­dung betrach­ten, sie im Gegen­zug erwar­ten, dass es der Arbeit­ge­ber auch dul­det, wenn pri­va­te E‑Mails wäh­rend der Arbeits­zeit mit­erle­digt wer­den.

Die Ten­denz zur Ent­gren­zung von Pri­va­tem und Beruf­li­chem lässt sich nicht über­se­hen. Die Fra­ge, ob die arbeits­recht­li­chen Rege­lun­gen und ins­be­son­de­re das ArbZG noch zeit­ge­mäß sind, drängt sich auf. Aller­dings sind Arbeit­ge­ber mit Hin­blick auf die geschil­der­te Pro­ble­ma­tik den­noch gut bera­ten, kla­re Rege­lun­gen zur stän­di­gen Erreich­bar­keit der Arbeit­neh­mer auf­zu­stel­len, und nicht auf eine Lösung durch den Gesetz­ge­ber zu war­ten.

BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Über den autor

Aktuelles

Weitere Beiträge des Autors

Alternative Feiertagsregelungen: Wie Unternehmen auf religiöse Vielfalt Rücksicht nehmen können

Was tun, wenn Arbeitnehmer Weihnachten nicht feiern? In einer multikulturellen Arbeitswelt stehen Unternehmen vor der Herausforderung, religiöse Vielfalt zu berücksichtigen – besonders, wenn es um Feiertage geht. Das deutsche Arbeitsrecht bietet flexible Lösungen, von Gleitzeit über Sonderurlaub bis hin zum Tausch von Feiertagen.   Auch die Bemühungen der US-amerikanischen Regierung, Inklusions- und Vielfaltsmaßnahmen zurückzudrängen, ändern nichts daran, dass wir in...

Mann bewirbt sich auf Job für „Sekretärin“: Entschädigung wegen Diskriminierung?

Die Sekretärin, der Mechaniker – alte Stereotype in Stellenanzeigen können Unternehmen teuer zu stehen kommen. Sogenannte AGG-Hopper versuchen, Fehler auszunutzen und auf Entschädigung zu klagen. Das klappt nicht immer, doch die Fälle lehren viel darüber, worauf Arbeitgeber achten sollten, wenn sie eine Stelle ausschreiben. In letzter Zeit kommt es vermehrt zu Streitigkeiten aufgrund angeblicher Diskriminierung im Bewerbungsverfahren. Es gibt eine...